Die Meldung von 60.000 unbesetzten Stellen im MINT-Bereich vor einigen Wochen hat in Zeiten der Wirtschaftskrise für viel Aufsehen gesorgt. Die Experten des Instituts der deutschen Wirtschaft gehen davon aus, dass sich diese Situation in Zukunft noch verschlimmern wird. Die Arbeitsgruppe Qualifikation des Vereins kunststoffland NRW und die Wirtschaftsförderung Leverkusen (WfL) haben die Problematik aufgegriffen und eine Veranstaltung zum Thema „Hochschule & Unternehmen – gemeinsame Ansätze gegen den Fachkräftemangel“ ins Leben gerufen. Fachvorträge und eine abschließende Podiumsdiskussion von Vertretern der Wirtschaft, der Gewerkschaften und Institutionen sowie der Fachhochschule standen dabei am Dienstagnachmittag im Mittelpunkt.
Mehr als 70 Gäste, darunter Vertreter von Unternehmen, Bildungseinrichtungen, Netzwerken und Organisationen aus Leverkusen und der Region, waren der Einladung der Arbeitsgruppe Qualifikation von kunststoffland NWR e.V. und der Wirtschaftsförderung Leverkusen in das alte Ausbesserungswerk und den zukünftigen Hochschulstandort neue Bahnstadt Opladen gefolgt. Begrüßt wurden die Gäste durch Dr. Bärbel Naderer, Geschäftsführerin von kunststoffland NRW und WfL-Geschäftsführer Wolfgang Mues,
der sich besonders über das Engagement der Arbeitsgruppe für Leverkusen freute.
Nach einer Führung über das riesige Areal durch Hauherrin Vera Rottes, Geschäftsführerin der Gesellschaft neue Bahnstadt, bekamen die Gäste bei Vorträgen zum Thema Fachkräftemangel die Problematik und Lösungsansätze anhand unterschiedlicher Sichtweisen erläutert. Kern der Diskussionen war die Ausbildung von Fachkräften.
Dr. Michael Neumann vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln ging der Frage nach, warum vor dem Hintergrund des demographischen Wandels die Unternehmen jetzt aktiv werden müssen. Eine sinkende Geburtenrate und eine erhöhte Lebenserwartung durch bessere Ernährung und einen medizinisch-technischen Fortschritt seien die Hauptursachen für den demographischen Wandel und somit auch für den Rückgang der Fachkräfte. „Die Wirkung des Ganzen hat uns aber noch nicht getroffen“, so Neumann. Erst ab dem Jahr
2015 nehme der Anteil der Jüngeren deutlich ab. Von dieser Entwicklung betroffen seien vor allem die Ingenieursberufe, hier liegt die Ersatzrate in Deutschland nur bei 0,9. Zum Vergleich: In Schweden werden 4,7 neue Ingenieure für einen Pensionär ausgebildet. „Wir müssen daher versuchen, ältere Arbeitnehmer verstärkt zu integrieren und verhindern, sie zu verlieren“, sagte Neumann.
Die Gründungsdekanin des Campus Leverkusen, Prof. Dr. Astrid Rehorek, hob in ihrem Vortrag und der folgenden Podiumsdiskussion die Bedeutung des künftigen Hochschulstandorts mit kooperativen Studiengängen als regionalen Ansatz gegen den Fachkräftemangel hervor: „Wir stehen zu diesem Projekt und glauben, dass das demographische Problem sehr effektiv bekämpft werden kann.“ Die Dekanin warb darum, mit den ansässigen Unternehmen in der Chemieregion Leverkusen in direkten Kontakt zu kommen und dies auch vertraglich festzuhalten.
Sie bezeichnete es als „glücklichen Umstand“, dass das Land die Fachhochschulen weiter ausbauen will, da diese eine praxisorientierte und fachbezogene Ausbildung garantierten.
„Das ist eine große Chance, die wir ergreifen müssen.“
Über das Schülerlabor-Projekt als Schnittstelle zwischen Schule, Berufsausbildung und Studium berichtete Baylab plastics-Gesamtprojektleiter Dr. Johann Thim. In eintägigen Live-Projekten können die Schüler für einen Tag die Schulbank mit dem Forscherkittel tauschen und sich in kleinen Teams an der Entwicklung eines Produktes bis zur Fertigstellung beteiligen. Bayer MaterialScience will auf diese Weise die Jugendlichen für das für viele uninteressante Thema Naturwissenschaften und Technik begeistern. „Bei uns können die Jugendlichen aktiv sein, einen praktischen Einblick in die Berufswelt bekommen und erleben, wie ein Unternehmen funktioniert“, so Dr. Thim.
Bei der anschließenden Podiumsdiskussion, die durch kunststoffland NRW e.V.-Geschäftsstellenleiterin Antje Lienert moderiert wurde, unterstrich Dr. Ernst Grigat, Leiter des CHEMPARKS Leverkusen, die Bedeutung des Chemiestandorts Leverkusen für den Erhalt der Auszubildenden in der Region.
Dazu müsse der Standort an sich attraktiv gehalten, das Interesse am CHEMPARK gefördert und die Qualifikation der Bewerber hoch gehalten werden. Fachliche Kompetenz sei nur durch eine gute Ausbildung zu erlangen.
Eine langfristige Standortsicherung ist nach Ansicht von Peter Hausmann, Landesbezirksvorsitzender der IG BCE Nordrhein, möglich, wenn zukunftsorientierte Fachbereiche gefördert und mehr Ausbildungsplätze geschaffen werden. Man müsse dafür die Tendenz zum Ausbildungs-Abbau unbedingt stoppen. Zur Frage, wie sich mittelständische Unternehmen engagieren können, empfahl Dr. Johann Thim, die Netzwerke der Aus- und Weiterbildung auszubauen und die Erwachsenenbildung zu fördern, um auch bei den Eltern die Akzeptanz für Einrichtungen wie Schülerlabore zu verstärken. Zudem müsse man die Vorurteile gegenüber Haupt- und Realschülern abbauen, um so die Motivation der Absolventen zu steigern.
Eine Möglichkeit, dies zu tun, bietet das Deutsche Museum in Bonn. Museumsleiterein Dr. Andrea Niehaus berichtete von eigenen Aktivitäten mit dem Technik-Nachwuchs und einem Labor-Führerschein, den die Jugendlichen erwerben können.
Dieser Labor-Führerschein könne eine Eintrittskarte ins Berufsleben darstellen.
Bei vielen Gesprächen im Anschluss an die Diskussionsrunde ließen die Gäste den Nachmittag ausklingen und nutzten dabei auch die Chance, Kontakte zu knüpfen. Man war sich einig, dass die Veranstaltung einen Startschusscharakter hatte für die weitere Behandlung des Themas Fachkräftemangel in Leverkusen.