Ausstellungseröffnung: Kriegsenden in europäischen Heimaten


Archivmeldung aus dem Jahr 2018
Veröffentlicht: 08.09.2018 // Quelle: Internet Initiative

Mit Reden vom OGV-Vorsitzenden Michael Gutbier, JGV-Vorsitzenden Guido von Büren, Wolfgang Hasberg (Uni Köln), Bürgermeister Bernhard Marewski, Kulturdezernent Marc Adomat sowie Vertretern aus Villeneuve, Bracknell, Schwedt und Ratibor wurde heute die Ausstellung "Kriegsenden in europäischen Heimaten" in der Villa Römer - Haus der Stadtgeschichte eröffnet.

Musikalisch begleitet wurde die Eröffnung durch Stefan Seehausen.

Wir dokumentieren hier die Rede von Bürgermeister Bernhard Marewski anhand seines Mauskriptes:

"Liebe Mitglieder und Freunde des Opladener Geschichtsvereins,
liebe Gäste aus den Leverkusener Partnerstädten,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

heute vor hundert Jahren tobte der Erste Weltkrieg noch.

Dass er nicht mehr lange dauern sollte, wissen wir heute – zu ahnen war es damals … bis am 29. September 1918 schließlich die Oberste Heeresleitung die Reichsregierung zur sofortigen Einleitung von Waffenstillstands-verhandlungen aufforderte.
Einen Monat zuvor hatten die Alliierten in der Schlacht von Amiens einen entscheidenden Durchbruch erlangt.
Das war Auftakt zu einem fast ununterbrochenen Siegeszug der Alliierten an der Westfront bis zum Waffenstillstand am 11. November 1918.
Damit war der Erste Weltkrieg zuende.

Ich bedanke mich beim Opladener Geschichtsverein, dass ich als Bürgermeister - und damit als Vertreter der Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt Leverkusen - heute diese Ausstellung „Kriegsenden in europäischen Heimaten“ eröffnen kann.

Wir werden hier vor Augen geführt bekommen, wie sich das Leben vor hundert Jahren abspielte … nicht nur in Leverkusen und Opladen, sondern auch in Jülich und in unseren europäischen Partnerstädten.

Ein Blick in die Opladener Zeitung vom 8. September 1918 zeigt etwas von der Not, die damals herrschte:

Es wird über eine Versammlung im Rathaus Bergisch-Neukirchen berichtet, die zum Ziel hatte, die Lebensmittelzuteilung zu organisieren.
Der amtliche Teil wiederum verkündet, was auf Lebensmittelkarten pro Kopf und Woche im September 1918 zu bekommen war:
Das waren 62 ½ Gramm Butter, 125 Gramm Suppen und die gleiche Menge Honig sowie 50 Gramm Zucker.
Kinder bekamen zusätzlich 125 Gramm Sago, 125 Gramm Haferflocken und ein Päckchen Puddingpulver, … Schwangere 125 Gramm Sago und 250 Gramm Gerstenmehl dazu.

Ähnliche Dokumente dieser Zeit werden sicher auch hier zu sehen sein.

Mit Kriegsende zwei Monate später am 11. November 1918 war die Not im Alltag der Menschen auf dem Gebiet des heutigen Leverkusens noch nicht vorbei.

Zurückblickend kennen wahrscheinlich die meisten von uns nur die Schilderung unserer Eltern und Großeltern vom Ende des Zweiten Weltkrieges, im Einzelfall vielleicht auch noch vom Ersten Weltkrieg.

Und da heißt es dann meist: Erleichterung, dass der Krieg vorbei war?
… Erleichterung? JA. … Aber Freude?

Deutschland war am Ende des Zweiten Weltkrieges zerstört.
Flüchtlinge und Vertriebene kamen praktisch mit Nichts aus den deutschen Ostgebieten und aus Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa, man spricht von 10 bis 12 Millionen Menschen, die im Westen eine neue Heimat finden mussten.

Deutschland gehörte im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg zu den „Verlierern“.

Das wird auch heute noch ganz deutlich, wenn es um die „Erinnerungskultur“ geht.
Wer einmal um die Jahrestage der beiden Kriegsenden in einem der europäischen Nachbarländer - z.B. in Großbritannien - war, spürt das sofort.

Anlässlich des Endes des Zweiten Weltkriegs gibt es in diesen Tagen kaum ein anderes Thema in den Medien.
Alte Menschen berichten in Programmen der BBC, wie sie als junge Leute ihre Stadt London zum ersten Mal ohne Verdunkelung erlebten und wie die Menschen auf den Straßen tanzten, als der Krieg endlich vorbei war.

Aber auch das Ende des Ersten Weltkriegs ist im Vereinigten Königreich allgegenwärtig.
Das Symbol der roten Mohnblume erinnert überall – am Revers der Queen genauso wie an öffentlichen Gebäuden - an die Gefallenen dieses Krieges.

Als Deutschem fällt einem erst in solchen Momenten auf, wie verhältnismäßig sang- und klanglos das Ende der beiden Weltkriege hier begangen wird.

Gut, es gilt hier vielleicht nichts zu „feiern“, … aber die Erinnerung an das Ende der Schreckensherrschaft des Nazi-Reiches und dessen Folgen, - dies betraf nicht nur Millionen Menschen in Europa, sondern auch das ganze deutsche Volk -, … diese Erinnerung an das Ende des Deutschen Reiches - aber ebenso an den Neuanfang eines demokratischen Deutschlands - gilt es wach zu halten.

Blickt man auf das Ende des Ersten Weltkrieges, so denken wir an die revolutionäre Bewegung vor allem der Arbeiter und Soldaten, den Sturz des Kaiserreichs und den Beginn einer parlamentarisch-demokratischen Republik … mit der Einführung von freien gleichen Wahlen und nicht zu vergessen: mit der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland, - alles Grundlagen eines modernen Staates. Gute Gründe, sich zu erinnern.

„Kriegsenden in europäischen Heimaten“

Ich begrüße es sehr, dass diese Ausstellung hier im Rahmen einer internationalen Kooperation zustande gekommen ist … auch als beredtes Zeichen von Völkerverständigung im heutigen Europa.

Der Dank gilt dem Opladener Geschichtsverein, der hier diese Ausstellung in enger Abstimmung mit dem Jülicher Geschichtsverein und fünf Partnerstädten aus Deutschland, Frankreich, England, Polen und Slowenien vorbereitet hat.

Der Blick soll sehr „lokal“ ausgerichtet sein … und so uns nahegebracht werden:
Vermittelt werden Eindrücke von Ereignissen in den einzelnen Städten an der sogenannten „Heimatfront“.

Aus jeder Stadt werden eigene Positionen zu Themen wie Kriegsende, Kriegserleben und Kriegserinnerung eingebracht.

Wir sehen Erinnerungsstücke aus Leverkusen, Bracknell, Jülich, Ljubljana, Raciborz, Schwedt und Villeneuve d’Ascq – also den Heimatstädten von Menschen, die 1914 - 1918 auf verschiedenen Seiten der Front standen.

Was uns an bildhaften Vorstellungen zu den Kriegsenden fehlen mag, hier helfen Veranschaulichungen.

Heute an den Ersten Weltkrieg zu erinnern, ist jedoch auch angesichts der Krise, die Europa gerade durchmacht, mehr als aktuell.

Er gilt als die „Urkatastrophe des Zwanzigsten Jahrhunderts“, … war er doch der erste Krieg auf europäischen Boden, der mit der gesamten Vernichtungskraft moderner Kriegstechnik durchgeführt wurde.

Aber gleichzeitig liegt hier mit ein Keim für den Zweiten Weltkrieg nur 21 Jahre später: … ein global geführter Krieg sämtlicher Großmächte des 20. Jahrhunderts und der bislang der größte militärische Konflikt in der Geschichte der Menschheit.

Der Erste Weltkrieg kostete insgesamt etwa 20 Millionen Menschenleben, der Zweite Weltkrieg mit 60 bis 70 Millionen Toten weitaus mehr, weil auch die Zivilbevölkerung noch viel stärker betroffen war.

Zwar ist uns mit den Kriegen auf dem Balkan in den letzten Jahrzehnten ein Kriegsgeschehen noch einmal sehr nahe gerückt …
abgesehen davon aber herrscht in Europa seit mehr als siebzig Jahren Frieden.

Das ist nicht zuletzt ein Erfolg der europäischen Zusammenarbeit … zuerst in der EWG, dann der EG und heute der EU.
Dieses Zusammenwirken der Kräfte zum Wohle Europas und seiner Menschen dürfen wir nicht aufs Spiel setzen.

Ein Europa - sollte es sich künftig stärker nationalstaatlich ausdifferenzieren – läuft Gefahr, irgendwann Differenzen wieder mit Waffengewalt auszutragen.

Dass so etwas nicht ganz unwahrscheinlich ist, zeigt der unzählige Wechsel fast aller Grenzverläufe heutiger europäischer Staaten in den letzten tausend Jahren.

Ein Video, das in einer Animation diese fast stetigen Veränderungen auf der europäischen Landkarte veranschaulicht, wurde vor einigen Jahren unter anderem von der Zeitung WELT veröffentlicht.

Hinter nahezu jeder dieser Grenzänderungen stand ein größerer oder kleinerer Krieg. Unser Kontinent war nicht friedlich.

Es liegt an uns, das zu ändern und unser Europa in eine gemeinsame friedfertige Zukunft zu führen und diese nachhaltig zu sichern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

„Wer sich weigert, aus der Geschichte zu lernen, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“

Dieser berühmte Satz des Philosophen George Santayana wird oft zitiert, weil er auf den Punkt bringt, weshalb wir uns mit Geschichte beschäftigen.

Der Opladener Geschichtsverein und seine Partnervereine haben es sich dabei zur Aufgabe gemacht, die Geschichte, die wir aus den Büchern kennen, auf die lokale Ebene zu führen.
Das hilft, sich zu identifizieren und eine persönliche Motivation zu entwickeln, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen.

Ich danke dem Geschichtsverein für dieses stetige Engagement seit 1979 und wünsche der Ausstellung sowie auch dem Begleitprogramm viele interessierte Besucherinnen und Besucher.

Ich freue mich – und bedanke mich ausdrücklich dafür -, dass dieses Engagement durch die finanzielle Unterstützung der Europäischen Kommission, der NRW-Stiftung, des Landes Nordrhein-Westfalen, des Landschaftsverbandes Rheinland, der Bürgerstiftung Leverkusen und der KulturStadtLev deutlich und nachhaltig gefördert … und somit gewürdigt wird.

Sichtbares Zeichen der europäischen Kooperation ist die Anwesenheit von etwa 60 Gästen aus den Leverkusener Partnerstädten Bracknell, Raciborz, Schwedt und Villeneuve d’Ascq sowie aus Jülich, mit dessen Geschichtsverein der OGV intensiv und erfolgreich kooperiert.

Sie alle heiße ich an dieser Stelle ganz besonders in Leverkusen willkommen.
Fühlen Sie sich wohl in unserer Heimatstadt."


Anschriften aus dem Artikel: Alte Landstr 129, Albert-Einstein-Str 58

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