Tag der Heimat auf dem Manforter Friedhof


Archivmeldung aus dem Jahr 2017
Veröffentlicht: 03.09.2017 // Quelle: Internet Initiative

Mit Reden von Bürgermeister Bernhard Marewski, des örtlichen BdV-Vorsitzenden und Landtagsabgeordneten Rüdiger Scholz und des BdV-Präsidiumsmitgliedes Stephan Rauhaut begingen Stadt und BdV unter musikalischer Begleitung durch den Manforter Posauenenchor und den Chor Heimatmelodie den diesjährigen Tag der Heimat auf dem Manforter Friedhof.

Wir dokumentieren die Rede von Bürgermeister Marewski anhand seines Manuskriptes

„Sehr geehrter Herr Landtagsabgeordneter Scholz,
sehr geehrter Herr Bundestagsabgeordneter Nowak
sehr geehrter Herr Rauhut, Mitglied des Präsidiums des Bundes der Vertriebenen,
sehr geehrte Damen und Herren,

ich begrüße Sie im Namen der Stadt Leverkusen zum „Tag der Heimat“.

Die Gedenkstunde erinnert an die Opfer von Flucht und Vertreibung und will die öffentliche Anteilnahme für deren schweres Schicksal ausdrücken.

Auch in diesem Jahr richtet wieder der Bund der Vertriebenen Leverkusen diese Gedenkstunde aus.
Für die gute Vorbereitung und die umsichtige Organisation möchte ich mich herzlich bei Ihnen, Herr Scholz, und Ihren Helferinnen und Helfern bedanken.

Auch ein aufrichtiger Dank an den Chor „Heimatmelodie“ für die stimmungsvolle Eröffnung der heutigen Gedenkfeier.

Mit dem Liedtext „O Täler weit o Höhen“ hat Joseph Freiherr von Eichendorff seiner Heimat Lubowitz unweit von unserer Partnerstadt Ratibor ein unvergängliches Denkmal gesetzt.

Ein Leben „Fremd in der Fremde“ wartete auf ihn.
Doch das Gedicht schrieb er auf dem Weg nach Wien, wo er einem bunten Studentenleben entgegensah.
Er konnte daher auch leichten Herzens den frohen Wandersmann besingen: „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt.“

Von solchen Gefühlen konnte 1945 nicht die Rede sein.
Mehr als zwölf Millionen Deutsche mussten ihre Heimat verlassen.
Es ging darum, ihr Leben zu retten.

Sie erwartete im Westen ein zerstörtes Land, in dem die Einheimischen ebenfalls versuchten, das eigene Überleben zu sichern.

Nicht wenige Vertriebene starben auf der Flucht in den Wintermonaten an Hunger und Entkräftung.

Mit nur wenigen Habseligkeiten, nicht selten von ihren Familien getrennt, mussten die Überlebenden sich eine neue Existenz aufbauen.
„Fremd in der Fremde.“
Absolut nichts von dem Erleben des Romantikers Joseph von Eichendorff.

Ich persönlich wurde erst nach dem Krieg geboren, gehöre also zur sogenannten „Nachkriegsgeneration“.

Wie die meisten Menschen heute kenne ich die Geschichte nur aus Erzählungen, von Schwarz-weiß-Fotografien und historischen Dokumentationen.

Meine Großeltern waren beheimatet in Jastrow, Kreis Deutsch-Krone, nahe Schneidemühl. Sie gehörten zu den Vertriebenen, die 1945 ihre Heimat verlassen mussten. Man gab meinen Großeltern und den im Hause verbliebenen beiden Töchtern 24 Stunden Zeit, die Heimat zu verlassen - mit dem, was man tragen konnte.


Die Brüder, alle zum Wehrdienst eingezogen - einer gefallen, die anderen in Gefangenschaft -, hatten damit ebenso ihre Heimat verloren. Man fand sich - praktisch mit Nichts - in Westdeutschland wieder.

Drei Brüder fanden ihre neue Heimat in Leverkusen, hier gab es damals Arbeit – und eine neue Zukunft.

Über die Umstände der Flucht und Vertreibung wurde bei uns wenig erzählt, wahrscheinlich, weil man uns junge Menschen nicht damit belasten wollte.

Die Zukunft der Familien in der neuen Heimat war im Blick.
Und das zeigte sich unter anderem darin, dass alle drei Brüder – Handwerker von Hause aus – Ende der 50er Jahre nach Jahren „eisernen Sparens“ mit ihren Ehefrauen jeweils ein Eigenheim errichteten, mit gegenseitiger Unterstützung und weitgehend durch eigene Muskelleistung.

Auch das gehört zur Vergangenheit der Vertriebenen: Ein starker Wille zu einem Neuanfang, eine hohe Leistungsbereitschaft, der eiserne Verzicht auf viele Annehmlichkeiten – und die Bereitschaft, sich in ihrer neuen Heimat zu integrieren. Ich kann nur sagen: Respekt!

Wir Nachfahren können nur versuchen, nachzuempfinden, welche Verzweiflung aber auch welcher Überlebenswille die Betroffenen damals getrieben und vorangebracht hat.

Wichtig dazu ist aber die Botschaft, die die Betroffenen uns mit auf den Weg gegeben haben.

So haben wir die Charta der Heimatvertriebenen, in denen sie sich direkt an Deutschland und die Weltöffentlichkeit wenden.

Ihre Überzeugungen fassten sie 1950 in diese drei Sätze:
- Wir verzichten auf Rache und Vergeltung.
- Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können.
- Wir werden durch harte, unermüdliche Arbeit teilnehmen am Wiederaufbau Deutschlands und Europas.

Diese Versprechen haben sie über Jahrzehnte wahr gemacht.
Ihre Aufbauleistung für das blühende Westdeutschland ist beispiellos.
Unsere Stadt Leverkusen hat seinen neuen Mitbürgerinnen und Mitbürgern viel zu verdanken.

Das gilt jedoch auch für die früheren Heimatorte der Flüchtlinge und Vertriebenen.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, der Kontakte und Reisen über Jahrzehnte verhinderte, haben gerade die ehemaligen Flüchtlinge und deren Kinder und Enkel die menschlichen Grenzen zu unseren heutigen Nachbarländern überwunden.

Beispielhaft nenne ich nur die guten Beziehungen zu Leverkusens Partnerstadt Ratibor, für deren Vertriebene die Stadt Leverkusen zunächst eine Patenschaft übernommen hatte.

Nach wie vor wird das Archiv der Heimatvertriebenen im Leverkusener Stadtarchiv gepflegt.

Um die Baudenkmale und die Stadthistorie Ratibors kümmern sich nun die heutigen Bewohner – auch mit Unterstützung des Freundeskreises Ratibor! -, und die Geschichtsvereine pflegen einen engen Austausch.

Ähnlich profitieren auch andere Heimatorte von der Unterstützung durch ihre früheren Bewohner … aber auch vom deutschen Tourismus - früher einmal „Heimweh-Tourismus“ genannt -, heute unter dem Vorzeichen der Familienforschung der nachgewachsenen Generationen.
Und diese Orte erleben auch den Tourismus bildungs- und kulturinteressierter Menschen aus Deutschland.
Unser gemeinsames Europa macht dies einfach möglich.


Die damals Vertriebenen haben also weit mehr hinterlassen als verblichene Fotografien und Erinnerungen.

„Den Menschen mit Zwang von seiner Heimat zu trennen, bedeutet, ihn im Geiste zu töten“, schrieben sie in ihrer Charta, und erklärten das „Recht auf Heimat“ als ein Grundrecht.

Schon damals bezeichneten sie ihr Schicksal „und das aller Flüchtlinge“ als ein „Weltproblem“, für dessen Lösung sich Völker und Menschen einsetzen sollten, für „eine bessere Zukunft“.

Offensichtlich haben ihre Nachkommen diese Worte ihrer Großeltern und Urgroßeltern beherzigt und sich eine besondere Sensibilität bewahrt.

Denn statistisch kommt heute ein Drittel der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer selbst aus einer Vertriebenenfamilie; das ist mehr als der Durchschnitt der Bevölkerung.

Sehr geehrte Damen und Herren,
wenn wir heute von Kulturvielfalt in unserer Gesellschaft sprechen, dann gehört unsere deutsche Vergangenheit grundlegend mit dazu.

Es ist wichtig, die Geschichte der Heimat unserer Vorfahren zu bewahren, - so wie Sie es in Ihren Landsmannschaften tun, um das kulturelle Erbe für künftige Generationen zu erhalten.
Allein schon die Gedichte eines Josephs von Eichendorff sind ein bleibender Schatz.

Ebenso wichtig ist es, den schmerzlichen Erinnerungen einen Ort und einen Rahmen zu geben, so wie wir es hier in Leverkusen im Friedhof Manfort am Ostdeutschen Kreuz und am Friedensstein tun.

Wir wollen daher mit der Totenehrung der Verstorbenen gedenken.“


Anschriften aus dem Artikel: Albert-Einstein-Str 58, Alte Landstr 129

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