"Auch wir sind enttäuscht"


Archivmeldung aus dem Jahr 2005
Veröffentlicht: 17.12.2005 // Quelle: Bayer 04

Die erste Hälfte der Spielzeit 2005/2006 hat die Erwartungen der Verantwortlichen von Bayer 04 - vor allem aber die Hoffnungen der Fans nicht erfüllt. Enttäuschung überall. Auch Wolfgang Holzhäuser, seit eineinhalb Jahren „Chef“ der Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH, sieht sich heftiger Kritik ausgesetzt. Doch auch er fiebert immer mit „seiner“ Mannschaft und betont: „Auch wir - die gesamte Führungs-Crew von Bayer 04 - sind enttäuscht!“ Sind die zwar unbedingt notwendigen, aber unpopulären Entscheidungen Ursache für das schlechte Abschneiden? Im BayArena-Magazin stellt sich der Geschäftsführer kritischen Fragen.

Herr Holzhäuser, haben Sie die Mannschaft in die Krise gespart?
HOLZHÄUSER: Nein, natürlich nicht! Aber wir haben viele Jahre über unsere finanziellen Verhältnisse gelebt. Es wurde mehr Geld ausgegeben, als eingenommen worden war. Die Nachwehen dieser Politik sind heute unser Problem.

Was heißt das?
HOLZHÄUSER: Es wurden viele Spieler verpflichtet, ausgeliehen, als Ergänzungsspieler bei anderen Vereinen „geparkt“ - und mussten bezahlt werden. Es wurden hoch dotierte Verträge abgeschlossen - meist in der Hoffnung zum Beispiel durch hohe Ablösesummen das notwendige Geld wieder einnehmen zu können. Das hat oft nicht geklappt. So entstand über die Jahre ein großes Defizit. Auch die vermeintlich „fetten“ Champions League-Jahre haben dies nicht positiv verändert. Fußball auf hohem internationalen Niveau ist eben eine Gratwanderung zwischen sportlichem Triumph und wirtschaftlichem Desaster. Die Beispiele dafür reichen von Borussia Dortmund über Olympique Marseille oder Real Madrid bis hin zu Rom oder Florenz. Gesunde Vereine wie beispielsweise Bayern München sind da die Ausnahme.

Schießt Geld also doch Tore?
HOLZHÄUSER: Nicht direkt. Aber damit lassen sich sicher leichter Tore erzielen. Die Frage ist nur wie lange. Und: Bleibt der Erfolg aus, bleiben aber trotdem die Kosten für die teure Mannschaft - und die ständige Hoffnung wieder große Erfolge zu haben. Auch das haben wir selbst erfahren müssen.

Und bei Bayer 04 - nur Desaster?
HOLZHÄUSER: Nein, nicht Desaster, aber eine Ausgabenpolitik, die mit weniger Geld auskommen muss. Wir haben zehn sportlich „fette“ Jahre gehabt, in denen wir mit hohem finanziellen Aufwand zum Teil erfolgreichen Fußball gespielt, aber leider keinen Titel gewonnen haben. Vier Mal Vizemeister, ständige internationale Wettbewerbe. Dazu Spieler, die in Leverkusen zur Weltklasse gereift sind - beispielsweise Lucio, Ze Roberto, Ballack, Emerson. Wir haben auch bis heute immer eine Mannschaft gehabt, die fast komplett aus Nationalspielern unterschiedlichster Nationen bestand. Trotzdem haben wir nur im besten Jahr der Vereinsgeschichte, nämlich 2002, einen kleinen Gewinn erzielt - mit Champions League-Finale und den „Verkäufen“ von Ballack und Ze Roberto nach München. Das Jahr darauf waren es schon wieder rote Zahlen - trotz Champions League, aber bei Fast-Abstieg. Es ist eben eine Gratwanderung.

Sie haben einmal gesagt, keinen Titel kann man auch mit weniger Geld holen. Sind das die neue Ausgabenpolitik und der neue Anspruch?
HOLZHÄUSER: Die Aussage war natürlich sehr salopp, hat aber trotzdem im Kern Wahrheit. Wir liefen Gefahr, in ein finanzielles Desaster zu geraten und mussten die Reißleine ziehen. Deshalb hat mich die Bayer AG beauftragt, die Finanzen in Ordnung zu bringen - auch mit dem Risiko, dass wir dann vorübergehend eventuell sportlich nicht so erfolgreich sind, oder besser gesagt, auch wenn es dann nicht mehr so spektakulär zugeht. Dazu gab und gibt es leider keine Alternative. Dabei habe ich die volle Rückendeckung sowohl der Verantwortlichen der Bayer AG - an Ihrer Spitze der Vorstandsvorsitzende Werner Wenning - als auch von den Mitgliedern des Gesellschafter-Ausschusses wie auch aller Mitarbeiter der Fußball GmbH. Und was den Anspruch anbelangt - wir geben immer noch so viel Geld aus, dass wir durchaus erfolgreich sein könnten.

Was heißt „Finanzen in Ordnung bringen“?
HOLZHÄUSER: Regeneration ist angesagt. Sportlich und wirtschaftlich. Wir haben mittlerweile die Kosten um rund 40 Prozent gesenkt und werden sie noch weiter senken müssen, damit wir spätestens zur Saison 2007/2008 wieder ruhiger schlafen können.
Wir waren gezwungen, die finanziellen Belastungen zu senken. Deshalb haben wir die Ansammlung von etwa 20 Starspielern und einer Reihe von Optionsspielern, die ebenfalls bei uns auf der Gehaltsliste standen, verringert. Unser heutiges Konzept sieht vor, dass wir wichtige Positionen weiter mit Spitzenspielern besetzen und die anderen durch hochtalentierte eigene oder auch fremde Spieler, die eine Perspektive haben, ergänzen. Natürlich brauchen wir dafür Zeit und Geduld. Und genau um diese Geduld möchte ich die Fans bitten. Auch wenn ich deren Ungeduld - oder gar auch deren Unmut verstehe.

Profi-Fußball braucht Sponsoren. Aber Bayer 04 nicht auf „Titeljagd“ - reicht da die Attraktivität?
HOLZHÄUSER: Damit wir wirtschaftlich wettbewerbsfähig blieben, haben wir über die Bayer AG hinaus seit 2000 auch externe Sponsoren wie RWE und andere. Deren Interesse ist natürlich, dass wir soviel Aufmerksamkeit - nach Möglichkeit auch internationale - wie nur möglich erreichen. Ohne Titel oder internationale Wettbewerbe ist die Vermarktung sicher schwieriger. Bessere Vermarktung setzt eben Erfolge voraus. Und die wollen wir im Rahmen der vorgenannten Möglichkeiten auch erreichen. Aber nicht nach dem Motto: „Koste es, was es wolle“. Natürlich wird's schwieriger als früher, zumal wir mit unserem schönen kleinen Stadion auch dort mit den Vermarktungsmöglichkeiten zwischenzeitlich leider „hinter der Musik herlaufen“.


Sie werden von den Fans, vor allem aber von den Medien immer an ihrem zweifelsohne sehr populären früheren Geschäftsführungs-Kollegen Reiner Calmund gemessen. Was hat er besser gemacht als Sie es jetzt machen?
HOLZHÄUSER: Nichts unbedingt besser, wohl anders. In unserer Ära mit Reiner Calmund haben wir sehr viel Geld investiert und auch einiges erreicht und viel öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Dafür haben wir aber einen sehr hohen - heute wissen wir, einen zu hohen Preis gezahlt. Damals konnte jedoch keiner ahnen, dass mit der Kirch-Pleite dem Fußball von heute auf morgen Millionen entzogen werden. Und auch wir hatten natürlich mit diesen Fernseh-Millionen kalkuliert.

Sie haben zu Beginn der Saison hohe, wahrscheinlich sogar zu hohe Erwartungen an die Leistung der Mannschaft gestellt. Was hat Sie so optimistisch gemacht, zumindest einen UEFA-Pokal-Platz zu erwarten?
HOLZHÄUSER: Wir haben nach wie vor einen sehr gut besetzten Kader mit vielen Nationalspielern. Und einen hohen Etat, der immer noch im obersten Drittel der Bundesliga liegt. Von dem Potenzial der Spieler musste man deutlich mehr erwarten als bisher herausgekommen ist.

Wie kommt es vom Champions League-Anspruch zur Mittelmäßigkeit?
HOLZHÄUSER: Nochmal in aller Deutlichkeit: Keiner hat den sportlichen Misserfolg gewollt. Und keiner ärgert sich über das bisherige Abschneiden der Mannschaft so sehr wie meine Führungs-Crew und ich. Wir haben in kürzester Zeit Millionen verspielt: Frühes Aus im Liga-Pokal, kein Weiterkommen im UEFA-Pokal und schnelles Ende im DFB-Pokal. Das sind Millionen, die da verloren gegangen sind. Dabei hatten wir - was in der Liga heute wahrlich nicht mehr so einfach ist - hervorragende Verträge zur Vermarktung mit den elektronischen Medien und für die Bandenwerbung abgeschlossen. Keiner kann sich vorstellen wie „sauer“ wir, bereits vom finanziellen Gesichtspunkt her, über das jeweils frühe Ausscheiden waren. Nicht zuletzt auch deswegen, weil unsere Gesprächspartner ebenfalls davon überzeugt waren, dass wir eine erfolgreichere Rolle spielen würden, als sich letztendlich herausgestellt hat.

Wie kommt es denn zu einer solchen Fehleinschätzung?
HOLZHÄUSER: Wir wussten um das Risiko, dass wir nach dem zwangsläufigen „Abgang“ einiger wichtiger Spieler zum Erreichen unserer nach wie vor ehrgeizigen Ziele auch etwas Glück brauchten. Aber das hatten wir leider nicht. Im Übrigen: Die Zielsetzung lautete immer internationale Plätze; Champions League nur, wenn alles optimal läuft.

Werden Konsequenzen aus der Fehleinschätzung gezogen?
HOLZHÄUSER: Rudi Völler, Michael Skibbe und ich sind uns völlig einig darüber, dass ein öffentliches „Draufhauen“ auf die Mannschaft nichts bringt. Aber intern wird schon Tacheles geredet. Die Spieler wollen ja den Erfolg genauso wie wir und die Fans. Es gibt auch gute Ansätze, die jetzt ausgebaut werden müssen.

Sie haben auch versprochen, die Mannschaft zur Halbzeit zu verstärken, wenn es sich als notwendig erweist. Ist die Notwendigkeit jetzt nicht mehr als deutlich?
HOLZHÄUSER: Dieses Versprechen haben wir bereits eingelöst. Wir ergänzen die Mannschaft da, wo Schwachstellen entstanden sind. Das haben Rudi Völler und ich immer betont. Deshalb haben wir ja auch den tschechischen U21-Nationalstürmer Michal Papadopulos von Banik Ostrau verpflichtet. In der Abwehr soll der Schwede Fredrik Stenman für Verstärkung sorgen. Außerdem wollen wir liebend gerne zur Verstärkung des Angriffs den Noch-Nürnberger Stefan Kießling für die kommende Saison verpflichten - der wird allerdings von fast allen deutschen Spitzenvereinen umworben. Das sind alles junge Spieler, die auch eine Perspektive haben. Gleichzeitig wollen wir die Verträge mit verschiedenen Spielern verlängern - unter anderem mit René Adler und Clemens Fritz, allerdings zu vernünftigen Konditionen. Das sind junge positive Typen, die wir in unserem Team brauchen.

Wird in der Rückrunde jetzt alles besser?
HOLZHÄUSER: Ich hoffe, ja! Aber die Hinrunde hat gezeigt, dass wir von Spiel zu Spiel denken müssen. Da folge ich der Weisheit von Sepp Herberger, nach der das nächste Spiel immer das schwerste ist. Und wenn wir dann auch wieder Spiele gewinnen, dann können wir auch unsere Ansprüche von Mal zu Mal den Gegebenheiten anpassen. Alles andere wäre jetzt unrealistisch.

Sie werden mit dem Vorwurf konfrontiert, dass Bayer 04 mehr Schlagzeilen mit Gerichts-Prozessen macht als auf dem sportlichen Sektor. Sind Sie zum Prozesshansel geworden?
HOLZHÄUSER: Nein. Zum einen sind die gerichtlichen Auseinandersetzungen mit Jens Nowotny und Reiner Calmund Prozesse, die gegen uns angestrengt worden sind. Nicht wir klagen. Wir sind die Beklagten. Dabei geht es um Zahlungen, die aus unserer Sicht unberechtigt sind. Bei unseren Rechtstreitigkeiten geht es um insgesamt fast 10 Millionen(!) Euro. Die wollen wir nicht zahlen, weil wir aus unserer Sicht und auch schon aus der Sicht von Gerichten nicht zahlen müssen. Und ich betone nochmal - auch auf die Gefahr hin, wieder falsch interpretiert zu werden - dieses Geld können wir viel besser für Verstärkungen im sportlichen Bereich einsetzen.
Bei den Auseinandersetzungen vor dem „CAS“, dem Court of Arbitration for Sport, dem höchsten internationalen Sportgericht, handelt es sich allein um die Klärung von Geldern, die Vereine fordern, die einen Spieler abgeben, den sie vorher „ausgebildet“ oder „gefördert“ haben. So auch bei St. Gallen und Tranquillo Barnetta. Allein die FIFA hat hier, wie man hört, rund 2000 Verfahren anhängig. Der größte Teil davon soll sich mit Streitigkeiten über Ausbildungs- und Förderungsentschädigungsregelungen der FIFA befassen. Das ist Alltag und kein Bayer 04-spezifisches Vorgehen. Im übrigen haben wir den unstreitigen Teil an den FC St. Gallen pünktlich wie immer bezahlt; jetzt geht es um eine Restsumme, über die unterschiedliche Auffassungen bestehen.

„Holzhäuser raus!“ - treffen Sie solche Rufe von einigen Fans?
HOLZHÄUSER: Ja, sehr! Zum einen bin ich selbst zu sehr mit der Mannschaft verwachsen - also selbst Fan, zum anderen tut es weh, wenn man nicht verstanden wird. Ich wünsche mir, dass die Menschen einsehen, wozu wir aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen sind, auch wenn dies unpopuläre Einschnitte zur Folge hat. Aber ich verstehe den Unmut, und da bin ich dann leider der Sündenbock. Das bereitet schon schlaflose Nächte. Das ist aber - und das will ich auch hier noch einmal deutlich sagen - nicht der Grund, warum ich, wenn's vom Ergebnis her eng wird, manchmal die Tribüne schon gegen Ende der zweiten Hälfte verlasse. Aber ich bin oft so aufgewühlt, dass ich mich unter den Ersatzspielern oder bei den anderen „guten Geistern“, die im Hintergrund arbeiten, emotional dann besser aufgehoben fühle...


Anschriften aus dem Artikel: Alte Landstr 129, Albert-Einstein-Str 58

Kategorie: Sport
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