"Schwäche der Weltwirtschaft und Pharma-Probleme belasten das Ergebnis"

Bayer-Vorstandschef Dr. Manfred Schneider auf der Herbst-Pressekonferenz:

Archivmeldung aus dem Jahr 2001
Veröffentlicht: 14.11.2001 // Quelle: Bayer

Keine Trendwende bis zum Jahresende in Sicht / Positives operatives Ergebnis vor Sonderposten im vierten Quartal erwartet

Leverkusen – Auch der Bayer-Konzern bekommt die zunehmende Schwäche der Weltwirtschaft zu spüren. "Die noch im Frühjahr gehegten Erwartungen auf eine allmählich einsetzende wirtschaftliche Erholung in den USA haben sich zerschlagen", sagte der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens, Dr. Manfred Schneider, am Mittwoch in Leverkusen auf der Bayer-Herbstpressekonferenz. Die Terroranschläge in den USA, deren wirtschaftliche Auswirkungen noch gar nicht in vollem Umfang abzusehen seien, hätten das weltwirtschaftliche Umfeld zusätzlich drastisch verschlechtert und den Abwärtstrend in wichtigen Märkten verstärkt. Hinzu kämen die Probleme im Geschäftsbereich Pharma. Während der Konzernumsatz im fortzuführenden Geschäft in den ersten neun Monaten um drei Prozent auf 22,5 Milliarden Euro wuchs, verringerte sich das operative Ergebnis vor Sonderposten um 41 Prozent auf 1,6 Milliarden Euro.

"Die Einbußen aufgrund der Probleme bei unseren biologischen Produkten hätten wir aufgrund unseres breit diversifizierten Portfolios noch verkraftet; die bis zum zweiten Quartal aufgetretenen, überwiegend konjunkturbedingten Einbußen in unserem Industriegeschäft hätten wir zumindest teilweise kompensieren können", sagte Schneider. "Die Folgen des Rückzugs unseres Cholesterinsenkers Lipobay/Baycol im August und die empfindlichen Einbußen zum Ende des dritten Quartals können wir aber beim besten Willen nicht mehr auffangen." Die Zahlen des dritten Quartals zeigten das in aller Deutlichkeit: Vor Sonderposten habe Bayer ein positives operatives Ergebnis von 66 Millionen Euro erzielt, das Konzernergebnis sei mit 183 Millionen Euro negativ. Als Lichtblick bezeichnete Schneider den im Dreimonatszeitraum gegenüber der Vorjahreszeit aufgrund einer erfreulichen Verringerung des Umlaufvermögens um 30 Prozent auf 1,2 Milliarden Euro gestiegenen Netto-Cashflow.

Überdurchschnittliche Dynamik in Asien

Zu dem Umsatzwachstum in den ersten neun Monaten haben Portfolioveränderungen mit drei Prozent beigetragen. Positiv wirkten sich zudem Währungs- und Preiseffekte aus, während die Mengenentwicklung mit zunehmender Tendenz negativ war. Regional betrachtet ergab sich eine sehr differenzierte Umsatzentwicklung: schwächeres Wachstum in Nordamerika, durchschnittlicher Zuwachs in Europa und eine überdurchschnittliche Dynamik in Asien, die vor allem von der Expansion in China getragen wird.

Das operative Ergebnis nach Sonderposten im fortzuführenden Geschäft sank im Dreivierteljahr um 60 Prozent auf eine Milliarde Euro. Darin enthalten sind Sonderposten von 508 Millionen Euro. Allein 294 Millionen Euro davon entfallen auf die Rücknahme von Lipobay/Baycol. 103 Millionen Euro wurden für Strukturmaßnahmen im Arbeitsgebiet Polymere aufgewendet und 75 Millionen Euro für Portfolio-Bereinigungen im Chemiegeschäft. Einschließlich der Erträge aus dem nicht fortzuführenden Geschäft wurde ein operatives Ergebnis von 1,4 Milliarden Euro erzielt – 50 Prozent weniger als vor Jahresfrist. Der Konzerngewinn beträgt 823 Millionen Euro; das entspricht einem Rückgang von 47 Prozent.

Im Arbeitsgebiet Gesundheit sank der Umsatz aufgrund einer siebenprozentigen Einbuße im Pharmageschäft um zwei Prozent auf 7,1 Milliarden Euro. Erfreulich entwickelten sich hingegen die Geschäftsbereiche Consumer Care und Diagnostika mit Umsatzzuwächsen von sechs bzw. vier Prozent. Das operative Ergebnis vor Sonderposten des Arbeitsgebietes verringerte sich infolge der Probleme bei Pharma auf 469 Millionen Euro. Zu den positiven Trends im Pharmabereich gehöre nicht zuletzt der anhaltende Erfolg des Bayer-Antibiotikums Ciprobay, das jetzt im Zusammenhang mit den Ereignissen in den USA einen besonderen Stellenwert erhalten habe, sagte der Bayer-Vorstandsvorsitzende. Das Medikament sei derzeit das einzige in den USA für die Indikation Milzbrand zugelassene Präparat, das gegen alle bekannten Stämme dieses Erregers eine nachgewiesene Wirkung besitze. Das jetzt durch Behördenaufträge zustande gekommene Zusatzgeschäft reiche aber nicht aus, um die Ertragsausfälle bei den biologischen Produkten und vor allem bei Lipobay/Baycol zu kompensieren. Die Unterstützung der USA und anderer Länder bei Kampf und Vorsorge gegen "Bioattacken" mit Milzbrand habe für Bayer Vorrang vor wirtschaftlichen Überlegungen. Deshalb sei das Unternehmen auch der US-Regierung in der Preisfrage weit entgegengekommen und habe zusätzlich vier Millionen Tabletten gespendet.

Auf der anderen Seite sollten, wenn die Versorgung gesichert ist, nicht die bewährten Grundsätze zur Sicherung der Patentrechte über Bord geworfen werden, auf denen die großen Erfolge der forschenden Pharmaindustrie beruhen, sagte Schneider. "Wir sind froh, dass dieser Standpunkt sich letztlich durchgesetzt hat."

Gesundheit bleibt Kerngeschäft

Gesundheit bleibe ein Kerngeschäft des Bayer-Konzerns, bekräftigte Schneider nochmals. Um die zweifellos vorhandenen Synergien effizienter zu nutzen und eine größere Flexibilität für strategische Partnerschaften – sowohl für das Arbeitsgebiet als auch für einzelne Bereiche oder spezielle Märkte – zu erreichen, wird das Arbeitsgebiet künftig als eigenständige Gesellschaft geführt. "Unser Ziel ist es, ein führendes Healthcare-Unternehmen zu schaffen", sagte der Bayer-Vorstandsvorsitzende.

Eine insgesamt stabile Entwicklung verzeichnete das Arbeitsgebiet Landwirtschaft in den ersten neun Monaten 2001. Der Umsatz wuchs um zwei Prozent auf 2,9 Milliarden Euro – unter anderem infolge der erworbenen Fungizide und Herbizidprodukte im Pflanzenschutz. Das operative Ergebnis verringerte sich zwar um 13 Prozent auf 500 Millionen Euro, was Schneider vor allem mit den Aufwendungen für die übernommenen Produkte Flint und Mikado begründete. "Doch mit der Rendite von 17 Prozent gehören wir nach wie vor zu den profitabelsten Unternehmen dieser Branche."

Die Übernahme von Aventis CropScience erwartet er – vorbehaltlich der Zustimmung der Kartellbehörden in den USA und Europa – spätestens zum Beginn des zweiten Quartals 2002. "Unser Ziel ist es, mit der neu formierten Bayer CropScience eine klare Spitzenposition in diesem viel versprechenden Markt zu erreichen, überdurchschnittlich zu wachsen und nicht zuletzt eine breite Basis für die Entwicklung neuer Wirkstoffe und Technologien zu schaffen – einschließlich der Biotechnologie." Ausgehend von einem pro forma kombinierten Umsatz in diesem Jahr von 6,5 Milliarden Euro wolle Bayer bis zum Jahr 2005 eine Größe von 8,1 Milliarden Euro sowie eine Umsatzrendite von 20 Prozent erreichen. Der bisher zum Arbeitsgebiet Landwirtschaft gehörende Geschäftsbereich Animal Health werde im Zuge der Neuformierung des Pflanzenschutz-Geschäfts zum 1. Januar 2002 auf das Arbeitsgebiet Gesundheit übertragen.

Preiserhöhungen bei Polymeren nicht durchzusetzen

In besonderem Maße leidet derzeit das Arbeitsgebiet Polymere unter der schwachen Verfassung seiner Märkte. Das gilt laut Schneider weniger für den Umsatz, der auch infolge der Lyondell-Akquisition mit 8,3 Milliarden Euro noch um vier Prozent über Vorjahr liegt. Unter Druck stehen vielmehr die Margen. Zwar sinken mittlerweile auch die Rohstoffkosten deutlich, doch das reiche bei weitem nicht aus, um den Preisverfall auszugleichen. Nach wie vor erforderliche Preiserhöhungen ließen sich im aktuellen Umfeld nicht durchsetzen. Die Folge sei ein Rückgang des operativen Ergebnisses vor Sonderposten um 40 Prozent auf 513 Millionen Euro.

Zur Stabilisierung der Situation und zur nachhaltigen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Polymer-Geschäfts tragen nach Angaben des Bayer-Chefs die bereits eingeleiteten umfangreichen Kostenstrukturprogramme bei. Insgesamt wolle Bayer dadurch bis zum Jahr 2005 Kosten von mindestens 700 Millionen Euro einsparen, von denen bereits 2002 etwa 300 Millionen Euro ergebniswirksam sein sollen. Auf der anderen Seite halte das Unternehmen – ungeachtet der zyklischen Probleme im Polymergeschäft – bei seinen Kernprodukten an den langfristig angelegten Expansionsplänen fest: "Wir sind vom Wachstum dieser Produkte und der entsprechenden Märkte unverändert überzeugt und entschlossen, unsere starke Position weiter auszubauen", betonte Schneider. Er verwies in diesem Zusammenhang auch auf die vor wenigen Tagen bestätigten Investitionsvorhaben in China mit einem Volumen von 3,4 Milliarden Euro.

Ein Umsatzplus von 13 Prozent auf 3,6 Milliarden Euro erzielte das Arbeitsgebiet Chemie im Dreivierteljahr, auch wenn das Wachstum im Laufe des Jahres deutlich schwächer geworden ist. Auch der Ergebnisrückgang falle mit neun Prozent auf 320 Millionen Euro vergleichsweise moderat aus, und die Umsatzrendite liege bei neun Prozent: "Ein Hinweis auf unsere relativ gute Position bei den Chemiespezialitäten", kommentierte Schneider.

Allerdings machten sich auch in diesem Arbeitsgebiet – vor allem in den Geschäftsbereichen Chemikalien und Spezialprodukte – die negativen Konjunktureinflüsse zunehmend bemerkbar. Mit zusätzlichen Kostenstrukturprojekten, die nach dem derzeitigen Stand ein Verbesserungspotenzial von rund 200 Millionen Euro bis 2004/2005 umfassen, steuere Bayer dagegen.

Für den Rest des Jahres sieht Bayer laut Schneider weltweit keine konjunkturelle Wende. Der Druck im Industriegeschäft werde anhalten. Im Gesundheitsbereich wird für Consumer Care und Diagnostika eine weiterhin positive Entwicklung erwartet. Bei Pharma werden die Zusatzgeschäfte mit Ciprobay die Belastungen durch den Lipobay/Baycol-Rückzug und die Probleme bei Kogenate nicht ausgleichen können. Das Landwirtschaftsgeschäft sollte sich bei Umsatz und Ergebnis relativ stabil entwickeln. Zusammenfassend sagte der Bayer-Chef: "Wir rechnen für das vierte Quartal mit keiner Trendwende in unserem Geschäft, erwarten aber vor Sonderposten ein positives operatives Ergebnis."

Das Volumen aller Kostenstrukturprogramme des Konzerns bezifferte der Vorstandsvorsitzende mit 1,8 Milliarden Euro, die ab 2004/5 realisiert werden sollen. Bereits 2002 soll nach dem derzeitigen Stand eine Milliarde Euro abgearbeitet werden, 480 Millionen Euro mehr als im laufenden Jahr. Im Rahmen dieser Maßnahmen werden bis Ende 2001 weltweit 2.100 Stellen entfallen, bis 2005 aus heutiger Sicht weitere 2.400. Hinzu kommt im Geschäftsbereich Pharma der geplante Abbau von 1.300 Arbeitsplätzen als notwendige Anpassung an die Produkt- bzw. Umsatzausfälle.

Zu den Maßnahmen, mit denen Bayer auf die aktuellen Konjunkturprobleme und die auch mittelfristig abgeschwächte Nachfrageentwicklung reagiert, gehören auch die Rückführung der Sachanlage-Investitionen auf das Niveau der Abschreibungen sowie eine konsequente Reduzierung der Vorräte und Forderungen. "Nachdem bereits im dritten Quartal die Mittelbindung im Working Capital erfreulich gesunken ist, setzen wir alles daran, diesen Trend in den kommenden Monaten fortzusetzen und noch zu verstärken", sagte Schneider. "Bei uns wird neben den aktuellen Anpassungen eine ganze Menge getan, um unser Unternehmen wieder auf Kurs zu bringen. Bayer ist ein Unternehmen mit viel Potenzial, und wir werden es nutzen."


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