Stadt tritt dem Riga-Komitee bei


Archivmeldung aus dem Jahr 2018
Veröffentlicht: 19.09.2018 // Quelle: Internet Initiative

Bei einem Festakt im Ratssaal trat heute im Beisein des Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach die Stadt Leverkusen nach Reden von Oberbürgermeister Uwe Richrath, Günter Rosenke und Jana Moers als Vertreter des Volksbundes dem Riga-Komitee bei.
Leverkusen schließt sich damit einem Städtebund an, der an über 25.000 Juden erinnert, die in den Jahren 1941/42 nach Riga deportiert und in der überwiegenden Zahl im Wald von Bikernieki ermordet wurden. Mindestens zwölf der nach Riga deportiert Juden waren im heutigen Leverkusen geboren oder wohnten hier zeitweise.
Den Beitritt beschloß der Rat auf Antrag des Ratsherrn und Landtagsabgeordneten Rüdiger Scholz.

Manuskript des Oberbürgermeisters
"Sehr geehrter Herr Landrat Rosenke,
sehr geehrte Frau Moers,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

die Stadt Leverkusen wird heute Mitglied im "Riga-Komitee". Es wurde im Jahr 2000 von 13 deutschen Großstädten und dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge gegründet. Denn von den Bahnhöfen dieser Städte waren große Transporte mit Bürgern jüdischen Glaubens in das lettische Riga abgefahren.

Auch aus dem heutigen Stadtgebiet Leverkusens wurden jüdische Familien entweder von Köln oder von Düsseldorf aus in die Vernichtung deportiert. Die Namen aller Opfer werden wir heute verlesen. Riga bedeutete den sicheren Tod: Von den 24.605 Menschen, die in den Jahren 1941 und 1942 aus dem großdeutschen Reichsgebiet nach Riga transportiert worden sind, überlebten 1.073.

Der erste Transport, dessen Teilnehmer ins Rigaer Ghetto gelangten, traf am 10. Dezember 1941 aus Köln ein. Darunter waren unter anderem Ilse Cohn geb. Herz aus Hitdorf, Ilse Klestadt geb. Levy aus Wiesdorf und das Ehepaar Max und Emilie Weinberg aus Bürrig. Der Zug, der sie transportierte, war am 7. Dezember am Bahnhof Deutz/Tief gestartet.

Die Neuankömmlinge aus Deutschland erwartete ein Rigaer Stadtbezirk, auf dessen Straßen nach der gewaltsamen Räumung am 8. und 9. Dezember noch Blutlachen standen, die inzwischen gefroren waren. Die dort vorher eingepferchten lettischen Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens waren abtransportiert und im Wald von Bikernieki umgebracht worden, um Platz für die Transporte aus Deutschland zu schaffen.

Der erste Akt dieser Räumung ging als "Rigaer Blutsonntag" in die Geschichte ein.

Am frühen Sonntagmorgen des 30. November 1941 war im Halbstundentakt der Abmarsch der Bewohner des Großen Ghettos in Kolonnen von 500 bis 1.000 Personen erfolgt; an diesem Tag noch geordnet, weil ihnen die Verlegung in ein anderes Lager mit leichterer Arbeit vorgegaukelt wurde. Tatsächlich aber erreichten sie nach einem etwa zweistündigen Marsch frisch ausgehobene Massengräber. Sie mussten sich bäuchlings auf die Leichname der zuvor Ermordeten in die Gruben legen und wurden erschossen. Bis zum Abend wurden allein an diesem Tag etwa 14.000 Männer, Frauen und Kinder umgebracht.

Als am 8. Dezember wieder Menschen aus dem Ghetto geführt werden sollten, ließen sich das die Ghettobewohner nicht mehr widerstandlos gefallen. Sie haben sich vergeblich zur Wehr gesetzt. Die Spuren dieser Kämpfe sah man noch.

Die Neuankömmlinge konnten ahnen, was sie erwartete.

Wer in den folgenden zwei Jahren im Ghetto überlebte, der wurde ab Mitte 1943 auf Todesmärsche geschickt oder in das Konzentrationslager Stutthof transportiert. Eine der wenigen Überlebenden, Hilde Sherman geb. Zander aus Mönchengladbach, hat in ihrem Buch "Zwischen Tag und Dunkel. Mädchenjahre im Ghetto" beschrieben, was sie im Ghetto und auf dem Marsch erleben musste.

Das alles ist zwar ein Menschenleben her. Es war aber die Generation unserer Eltern und Großeltern, die dieses Regime gewählt, sich ihm angepasst, den Mund gehalten und weggesehen hat.

Und - was noch viel gefährlicher ist: Es gibt Parteien, deren führende Köpfe sich mit bekennenden Neonazis ablichten lassen und dennoch behaupten, sie stünden fest auf dem Boden des Grundgesetzes. Was in den letzten Jahren wieder an Menschenhass gesellschaftsfähig wurde, ist unfassbar - und brandgefährlich.

Unverhohlener Antisemitismus kommt dazu: In Chemnitz wurde auch ein koscheres Restaurant angegriffen. Im Internet gehört das Märchen von der jüdischen Weltverschwörung längst wieder zu den gängigen Verschwörungs-Erzählungen. Die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Langzeitstudie der TU Berlin "Antisemitismus im WorldWideWeb" zeigt: "Im 10-Jahres-Vergleich hat sich die Anzahl der antisemitischen online-Kommentare zwischen 2007 und 2018 verdreifacht."

Machen wir uns nichts vor: Solche Menschen werden auch jeden, der heute hier für die Werte einer liberalen Gesellschaft eintritt, für den Gegner halten; einen Gegner, den es gilt, politisch abzulösen, um ihm dann zu zeigen, wo sein Platz ist.

Deshalb ist es heute wichtig, Farbe zu bekennen. Ich begrüße es daher sehr, dass die Stadt Leverkusen heute Mitglied im Riga-Komitee wird und wir nachher die entsprechende Urkunde unterzeichnen.

Ich würde mich freuen, wenn diese Mitgliedschaft auch zu einer Beteiligung von Leverkusener Gruppen an den jährlichen Workcamps von deutschen und lettischen Jugendlichen in Riga führt. Wer dort auf Spurensuche geht, lernt, was Nationalsozialismus und Rassenwahn in Konsequenz bedeuten. Frau Moers vom "Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge" wird gleich noch etwas über die Jugend- und Bildungsarbeit des Volksbundes sagen.

Ich begrüße deshalb sehr herzlich die Schülerinnen und Schüler des Landrat-Lucas-Gymnasiums und der Montanus-Realschule, die die Geschichte des Ghettos Riga für ihre Beiträge zur Gedenkstunde am 9. November aufarbeiten werden.

Ich danke dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und den Initiatoren dieser Mitgliedschaft - und mache den Platz am Rednerpult nun frei für Herrn Landrat Rosenke, der hier in seiner Eigenschaft als stellvertretender "Vorsitzende des Bezirksverbandes Köln-Aachen des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V." anwesend ist."

Liste der nach Riga deportierten Juden
Deportiert nach Riga von der Sammelstelle Köln-Messe am 7. 12. 1941
Ilse Cohn geb. Herz geb. 24.12.1907 in Hitdorf (seit 1935 verheiratet in Köln) gest. unbekannt (für tot erklärt)
Ilse Klestadt geb. Levy geb. 15.03.1906 in Wiesdorf (seit 1906 Benrath) gest. unbekannt (für tot erklärt)
Wilhelmine Meyer geb. Levy geb. 27.03.1875 in Bergisch Neukirchen (zuletzt Köln) gest. unbekannt
Ferdinand Potrafke geb. 9.10.1923 in Wiesdorf (als Kind nach Köln gezogen) gest. unbekannt
Emilie Weinberg geb. Silberberg (Bürrig, seit 1939 Köln) geb. 16.9.1892 in Eschweiler gest. unbekannt
Max Weinberg (Bürrig seit 1939 Köln) geb. 30.3.1877 in Rheinbach gest. unbekannt

Deportiert nach Riga von der Sammelstelle Schlachthof Düsseldorf-Derendorf am 11. 12. 1941
Gustav Carl (Quettingen) geb. am 5.7.1895 in Weilerswist gest. unbekannt (für tot erklärt)
Henriette Carl geb. Meyer (Quettingen) geb. am 19.12.1893 in Großbüllesheim gest. unbekannt (für tot erklärt)
Else Carl (Quettingen) geb. am 10.7.1924 in Großbüllesheim gest. unbekannt (für tot erklärt)
Elsa Maier geb. am 10.4.1898 in Hitdorf gest. unbekannt (für tot erklärt)
Alfred Maier geb. am 19.2.1900 in Hitdorf gest. unbekannt (für tot erklärt)
Paula Schulte geb. Meier geb. 4.2.1886 in Opladen gest. unbekannt (für tot erklärt)


Anschriften aus dem Artikel: Alte Landstr 129, Albert-Einstein-Str 58

Kategorie: Politik
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