Politik

Dipl.-Fischkutterkapitän

Ein paar unpädagogische Überlegungen zur PISA-Studie

Das Problem mit den Schulen ist, daß jeder glaubt, mitreden zu können, denn jeder hat mal eine besucht. Anstatt die Sache den Pädagogen zu überlassen (die haben das ja schließlich gelernt), glaubt das Volk in pädagogischen Fragen mit derselben Zuversicht, mit der es auch alles besser weiß als der jeweilige Bundestrainer, an seine sozusagen natürliche Fachkompetenz. (Ich auch. Daher dieser Artikel.) Als vor einigen Monaten dem geschockten deutschen Publikum schwarz auf weiß demonstriert wurde, daß deutsche Schüler im internationalen Vergleich eine ziemlich bescheidene Lesekompetenz besitzen und im Vergleich zu Finnland, Kanada und Südkorea geradezu kläglich abschnitten, raufte sich ganz Deutschland kollektiv die Haare.

PISA schief?

Allerdings ist starres Denken in Tabellenkategorien (auch hier verblüfft die Parallele zum Fußball) in der Bildungsfrage wenig hilfreich. Die PISA-Studie hat zwar sehr genau die Probleme deutscher Schulen und Schüler aufgedeckt, aber ob sie zum internationalen Vergleich sehr viel taugt, ist fraglich - ganz abgesehen von der interessanten Frage, ob solche linearen Vergleiche überhaupt sinnvoll sind.
So haben die viel gelobten Finnen ebenso wie die exzellent abschneidenden Kanadier ohne Skrupel ihre besseren Schulen testen lassen, während die überaus korrekten Deutschen von ihren 45.000 Schulen die 5.000 besten gar nicht berücksichtigt haben - weil man eben über die durchschnittlichen Schulen Bescheid wissen wollte. Ist es ein Wunder, daß das Ergebnis auch durchschnittlich ausfiel?
Generell müssen im PISA-Ergebnis landestypische Eigenheiten berücksichtigt werden. Ein Land wie Finnland mit überwiegend ländlichen Regionen, einer zwar fremd klingenden, aber angeblich relativ einfachen Sprache, einem bei etwa 0% liegenden Ausländeranteil und fast durchgängig untertitelten Fernsehfilmen (wer synchronisiert schon auf finnisch?) hat einen natürlichen Vorsprung in der Lesekompetenz.
Und ob kanadische und US-amerikanische Schulen tatsächlich im Schnitt besser sind als unsere, mag man nach den Erfahrungen vieler Austauschschüler bezweifeln.

67% Studierende

In Finnland studieren 67% eines Jahrgangs, in Deutschland knapp 20%. Bildungskatastrophe! schallt es uns fast täglich entgegen. Aber brauchen wir wirklich studierte Krankenschwestern, Fischkutterkapitäne, Feuerwehrleute und Polizisten wie in Finnland? Jahrzehntelang wurde uns doch eingeredet, daß das hervorragende duale deutsche Ausbildungssystem solche akademischen Überfrachtungen unnötig mache. Wo andere Länder auf studierte Ingenieure zurückgreifen mußten, hatte Deutschland seinen Industriemeister - praxisgerechter ausgebildet und sogar billiger. Gilt das nicht mehr?
Im Mittelpunkt aller Überlegungen zur Reform des Bildungswesens müssen die Kinder stehen. Anders gesagt: Wer jetzt reformieren will, sollte prüfen, ob seine Vorschläge den Kindern oder der Bequemlichkeit der Erwachsenen dienen.

Der Staat springt ein

Spätestens hier stellt sich die Frage, ob man die seit PISA vehement von Politikern aller Parteien geforderte Ganztagsschule (nach finnischem und kanadischem Vorbild) tatsächlich einführen sollte.
Diese Forderung zeugt zwar von großem Vertrauen in die Lehrerschaft, die ja schließlich für die Ganztagserziehung zuständig wäre. Aber die Befürworter dieser Idee scheinen den Lebensmittelpunkt der Kinder fast ausschließlich in der Schule verorten zu wollen, ohne groß zu fragen, ob das überhaupt gewünscht wird.
Flexible Lösungen scheinen wesentlich interessanter zu sein; in Bayern und Baden-Württemberg werden etwa Halbtagsschulen mit Ganztagsoption getestet. Solche Ideen scheinen doch wesentlich sinnvoller zu sein, als Kinder tagsüber flächendeckend aus dem öffentlichen Leben zu verbannen.

Die leidige Strukturfrage

Ist das dreigliedrige Schulsystem überholt, gar der Schuldige am PISA-Fiasko (denn das Fiasko ist bei allen Problemen der Vergleichbarkeit nicht zu leugnen)? Wohl kaum. Die Gesamtschule hat sich in Deutschland in dem 30 Jahre dauernden Feldversuch nicht als überlegen erwiesen. Befürworter dieser Schulform wie in Ehren ergraute GEW-Funktionäre führen das auf die mangelnde Konsequenz zurück, mit der diese Schulform eingerichtet wurde.
In Wirklichkeit hat die Gesamtschule die Hauptschule ausgehöhlt, die immer mehr zur Restschule verkommt; Realschule und Gymnasium auf der einen und Haupt- und Gesamtschule auf der anderen Seite driften immer weiter voneinander weg.
So ist es wohl nur logisch, auch einmal über das sächsische Modell mit zwei Säulen nachzudenken. Denn das jetzige dreigliedrige Modell ist zwar eine sehr gute Idee, die Verwirklichung ist aber ein Problem; ob es für die heutige Computerspiel- und Handygeneration mit einem hohen Ausländeranteil genauso taugt wie für frühere relativ homogene Gruppen, darüber lohnt es sich nachzudenken.
PISA ist natürlich auch ein Nachweis der bisher nicht hinreichend gelungenen Integration der ausländischen Mitbürger. Ein großer Teil der ausländischen Schüler hat Lese- und Schreibprobleme; zudem ist auch der Prozentsatz ohne Hauptschulabschluß erschreckend hoch.
Auf dieses Problem eine Antwort zu finden ist noch schwieriger, als das deutsche Bildungssystem zu reformieren; dafür gibt es exakt so viele Lösungen wie Pädagogikprofessoren - und Wähler. Denn wir waren ja alle mal in der Schule.