Editorial

Das Ende der Unschuld

Deutschland und andere NATO-Staaten führen Krieg gegen Jugoslawien

März 1999: Die NATO bzw. deren Einzelstaaten beginnen mit schweren Luftangriffen ein neues Kapitel in der fünfzigjährigen Geschichte des Verteidigungsbündnisses. Zum ersten mal in ihrer Geschichte führt das Bündnis einen Krieg gegen den souveränen Staat Jugoslawien. Deutsche Jagdbomber sind an diesen Angriffen beteiligt und bombardieren u.a. Ziele in der jugoslawischen Hauptstadt Belgrad. Wie konnte es soweit kommen?

Vom Minensucher zum Tornado

Noch knapp zehn Jahren stritten die Mitglieder des Bundestages darüber, ob man es zulassen könnte, daß deutsche Minensucher in den Persischen Golf ausrücken, oder daß deutsche Offiziere das Waffenembargo gegen Bosnien-Herzegowina in AWACS-Aufklärern überwachen.
Heute beschließt der Bundestag fast geschlossen den ersten Kampfeinsatz deutscher Streitkräfte seit dem 8. Mai 1945.
Diese Entscheidung ist richtig. Zurecht sagen viele, daß die NATO zum ersten mal eine unsichtbare Linie überschritten hat. Ohne UNO-Mandat greift sie einen souveränen Staat an, ohne dafür vom Sicherheitsrat ermächtigt zu sein. Das Bündnis greift zu diesem letzten Mittel, um den Völkermord im Kosovo zu stoppen. Zum ersten mal scheint das Leben hunderttausender Menschen Wichtiger als die heilige Staatssouveränität. Plötzlich ist das Abschlachten der eigenen Bevölkerung keine innerstaatliche Angelegenheit mehr.

Vom Pazifismus zur Realpolitik

Der zu erwartende Aufschrei der Empörung von Kriegsgegnern in Deutschland blieb überraschenderweise fast völlig aus. Nur Teile der pazifistischen Grünen und natürlich die PDS verweigerten im Bundestag der Regierungskoalition ihre Unterstützung.
Den anderen Parlamentariern war klargeworden, daß der machtbesessene "Groß"-Serbische Präsident Jugoslawiens Milosevic nur noch mit Waffengewalt zu stoppen ist. Die Zeit der endlosen diplomatischen Verschaukeleien Belgrads sind vorbei. Was nützen diplomatische Vorschritte und gutgemeinte Verträge, wenn sich das verbrecherische Regime in Belgrad ohnehin nicht an sie gebunden fühlt und mit seiner ethnischen "Säuberung" im Kosovo fortschreitet. Die NATO-Staaten hatten nur zwei Wahlmöglichkeiten. Zusehen oder Zuschlagen. Man entschied sich für letzteres. Auch einem Radovan Karadzic konnte man am Ende in Bosnien nur noch mit Bomben zum Frieden zwingen.
Auch außerhalb der Parlamente bleibt es in Deutschland ruhig. Der Zulauf zu den alljährlichen Ostermärschen blieb weit hinter den Erwartungen der Veranstalter zurück. Serbien ist kein Thema in Deutschland.

Von der Autonomie zur Vertreibung

Doch auch die andere Seite darf nicht vergessen werden. Der Kosovo gilt als die Keimzelle des serbischen Volkes. Die Niederlage auf dem Amselfeld gegen die türkischen Heere ist nicht nur in den Geschichtsbüchern Serbiens gelebte Geschichte. Jegliche Autonomie- oder Unabhängigkeitsbestrebung trifft bei den Serben einen empfindlichen Punkt. So fällt es vielen Serben schwer mitanzusehen, wie die, inzwischen seit Jahrhunderten dort ansässigen Kosovo-Albaner im Laufe der Zeit einen immer größeren Anteil an der Bevölkerung stellen.
Das alte Jugoslawien berücksichtigte dies mit einer Autonomie des Kosovo, welche aber in den neunziger Jahren aufgrund des immer stärker werdenden serbischen Nationalismus unter Milosevic, wieder aufgehoben wurde. Die Unterdrückung der albanischen Mehrheit durch die serbische Minderheit wurde immer weiter vorangetrieben.
Die Gründung der albanischen Untergrundarmee UCK und ihrem Kampf gegen die rücksichtslos vorgehenden serbischen Sicherheitskräfte entfachte schließlich den Krieg gegen albanische Zivilisten, den die NATO nun mit Luftschlägen zu stoppen versucht. Am Ende wird es Serbien wie Deutschland gehen. Alles gewollt und alles verloren. Die Serben sind mit ihren Machenschaften dabei, das Recht auf den Kosovo zu verspielen, nachdem die Serben in Kroatien und Bosnien schon verloren haben.
Davon erfährt die serbische Bevölkerung freilich nichts. Die serbische Propaganda berichtet nur über die "faschistischen" Angriffe der "Hitler"-NATO. Über das Morden im Kosovo erfährt das Volk nach der Zerschlagung der unabhängigen Medien nichts und steht voll hinter Milosevic.

Von Bomben zu Bodentruppen?

Kritiker bemängeln, daß die Angriffe die gewaltsame Vertreibung der Albaner nicht verhindern kann. Wahrscheinlich haben sie damit recht. Jetzt rächt es sich, daß sich niemand im NATO-Hauptquartier darüber Gedanken gemacht hat, was passiert, wenn der "Schlächter" in Belgrad nicht klein beigibt.
Noch will ernsthaft niemand darüber reden, um die Stimmung in der eigenen Bevölkerung nicht kippen zu lassen, aber der Einsatz von Bodentruppen, die einen Frieden gewaltsam erkämpfen, ist nur noch eine Frage der Zeit.
Deutsche Truppen sind schon jetzt in Kämpfe verwickelt. Es geht darum Menschen zu retten. Das sollte auch Pazifisten klar sein. Die Bundeswehr ist nun eine Armee wie jede andere. Sie genießt nun endgültig keinen Sonderstatus mehr. Das Ende der Unschuld ist gekommen.
Doch wo Bomben der Wehrmacht 1941 dazu dienten ein Volk gewaltsam zu unterwerfen, können Bomben der Bundesluftwaffe vielleicht dazu beitragen, das Schlachten im Kosovo aufzuhalten.
Wer Gewalt zur Erzwingung eines Friedens immer noch ablehnt, der sollte sich daran erinnern, wer denn unseren freiheitlich/demokratischen Staat erkämpft hat. Es waren englische und amerikanische Truppen, die 1945 das Hitler-Regime vernichteten, nachdem man Hitler um des Friedens Willen sogar im Münchener Abkommen die Tschechei auslieferte. Bitte keine Chamberlain-Politik mehr.

MiWi

Leserbrief in der Folgeausgabe