Politik

Der Fall des Jürgen W.

Wir werden in diesen Tagen Zeugen eines unbarmherzigen Machtkampfes in der FDP. Das Schauspiel hat alles, was sich der Zuschauer wünscht: Eine schillernde und phantasieanregende Hauptfigur (Jürgen mit dem großen W), Intriganten mehr oder weniger im Hintergrund (Otto Graf Lambsdorff, Günter Rexrodt, Wolfgang Gerhardt), ein tragischer, einsamer Chef (Guido Westerwelle) und die Opportunisten vom Dienst, die sich zuletzt ziemlich verwirrt zeigten, weil der Wind dauernd aus anderen Richtungen blies (Pinkwart, Kubicki, Koppelin).

Jahrzehntealte Rechnungen

Es verblüffte, wie lustvoll die Bundes-FDP, allen voran Schatzmeister Rexrodt, die Finanz-Eskapaden der NRW-FDP aufdeckte. Brutalstmögliche Aufklärung? Eher brutalstmögliche Ausschaltung eines alten Parteifeindes.
Um die Situation besser verstehen zu können, muß man wissen, daß hier zum Teil jahrzehntealte Rechnungen beglichen werden. Auf der einen Seite steht die alte Garde mit Lambsdorff und Solms, die die FDP als bürgerliche Partei mit Betonung der marktwirtschaftlichen Kompetenz sieht; auf der anderen Seite vor allem Möllemann (und manchmal Genscher), der sich die FDP eher als populistisch angehauchte Großpartei vorstellt - wozu man dann eben einige marktwirtschaftliche und bürgerrechtliche Grundsätze über Bord werfen müßte. Anfang der 90er Jahre war Möllemann kurz davor, FDP-Bundesvorsitzender zu werden - selbst Lambsdorff war halb gewonnen. Doch er griff zu dreist nach der Krone, und der Graf, damaliger FDP-Chef, schreckte zurück und konnte Möllemann noch ausbremsen.

Ehrgeiz

Möllemanns Versuch, die FDP zu einer Art liberalen Protestpartei à la FPÖ in Österreich aufzublähen, dient vor allem dem eigenen Ehrgeiz. Denn wer hätte denn eine solche 18%-Groß-FDP glaubwürdig führen können? Westerwelle, dieses Produkt der liberalen Gremien? Wohl kaum!
Das berühmt-berüchtigte Flugblatt des Jürgen Möllemann, mit dem er zweifellos vorhandene Abneigungen der Bürger gegen Sharon, Michel Friedmann und möglicherweise gegen Juden im allgemeinen (das sollte man nicht unterschätzen) ausnutzen wollte, diente mit Sicherheit nicht der Stimmungsmache. Der Hauptzweck war ein deutlich überdurchschnittliches FDP-Ergebnis in NRW.

Zynisches Spiel

Es war ein zynisches, durchsichtiges und auch ziemlich ärgerliches, weil mit den niederen Instinkten der Wähler kalkulierendes Spiel. Und beinahe, das muß frustrierenderweise gesagt werden, wäre es aufgegangen, denn die NRW-FDP übertrumpfte das Bundesergebnis zwar nicht so deutlich, wie Möllemann sich das gewünscht hatte, aber doch erheblich.
Hätte sich die FDP in NRW tatsächlich in Richtung 18% davongemacht (sie erhielt immerhin 9%), wäre Möllemann zweifellos noch in Amt und Würden. Denn nichts ist erfolgreicher als der Erfolg. Vielleicht hätte die FDP jetzt eine Westerwelle-Diskussion, und die mysteriöse Finanzierung des Flugblatts wäre das Steckenpferd einiger einsamer Journalisten.
Eines zeigt die ganze Geschichte überdeutlich: Das Projekt 18, dieser geplante große Anbau an die kleine, feine FDP-Villa, wird nur dann dauerhaft Bewohner finden, wenn die bisherige Hausverwaltung einige seit 50 Jahren hochgehaltene Prinzipien bei der Aufnahme neuer Mieter fallenläßt. Kann sich dann die alte Hausverwaltung noch lange halten? Und werden diese Bewohner sich langfristig niederlassen oder bei der ersten Unzufriedenheit in die beiden anderen großen Wohnblocks wechseln, so daß am Ende alles umsonst war? Wie gerade in Österreich geschehen?

Das Selbstverständnis der FDP

Es geht also bei der Affäre Möllemann nicht nur um späte Rache, sondern auch um die Zukunft und das Selbstverständnis der FDP.
Ob es allerdings klug ist, Möllemann nicht nur politisch entmachten, sondern gleich komplett vernichten zu wollen, steht auf einem anderen Blatt. Sein politisches Talent, seine Medienwirksamkeit, seine Einsatzfreude sind unbestritten. Und er hat noch viele alte Freunde, die sich nur zur Zeit nicht aus den Löchern trauen.

Der große Verlierer

Möllemanns politische Eliminierung wird der FDP nachhaltig schaden. Schon allein deswegen, weil die Begründung dauernd wechselte: mal war es die Finanzierung des Flugblattes, dann wiederum der Inhalt des Flugblattes selbst.
Größter Verlierer der Affäre ist bisher FDP-Chef Westerwelle. Er exekutiert gerade Möllemanns Ausschluß, obwohl jeder weiß, daß er seinen jetzigen Posten vor allem Möllemann zu verdanken hat. Ihrer beider Intrige fiel Westerwelles Vorgänger Wolfgang Gerhardt zum Opfer. Westerwelle hatte auch Möllemanns Projekt 18 vollkommen übernommen (und sogar die Schuhsohlen als eigene Nuance hinzugefügt) und ist damit in die Rolle geschlüpft, die Möllemann eigentlich für sich selbst vorgesehen hatte.
Jetzt hat der FDP-Chef das Projekt 18 erst einmal niedriger gehängt und sich mit Möllemanns alten Feinden verbündet. Wofür er nun aber wirklich steht, bleibt ziemlich unklar. Möllemanns Strategie war zwar ziemlich verrückt, aber er hatte wenigstens eine. Von Westerwelle kann man das nicht behaupten.