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Computer: Fenstersturz?

Ist Linux eine Alternative zu Windows?

Windows contra Linux - für Überzeugte ist das kein einfaches Entscheidungsproblem, sondern eine Glaubensfrage. Für den täglichen Computer-Anwender hingegen bedeutet es nüchternes Abwägen. Der Autor dieses Artikels entschloß sich in einem Zustand tiefster Depression, nach einem der vielen "Nichts-geht-mehr-Daten-weg-ätsch-Abstürze" seines Windows98-Systems, Linux eine Chance zu geben. Warum diese Herangehensweise falsch war und wie der Autor zu seiner entschiedenen Meinung zum Thema kam, wird im folgenden beschrieben. Zuerst jedoch ein bißchen Historie.

Linux erlebte vor gut einem Jahr, auf dem Höhepunkt des Kartellverfahrens gegen Microsoft, einen Popularitätsboom. Die Story ist natürlich auch zu gut: Ein finnischer Informatikstudent namens Linus Torvalds schafft 1990 eine PC-Version des bis dahin nur auf Großrechnern und Workstations vorhandenen Betriebssystems Unix und tauft sie Linux. Der Quellcode von Linux wird freigegeben; viele Softwareentwickler auf der ganzen Welt beteiligen sich via Internet an der Fortentwicklung oder schreiben Zusatzprogramme.
Linux kommt zugute, daß für Unix bereits die vielen überaus leistungsfähigen GNU-Programme der Free Software Foundation (FSF) existieren. Diese Programme unterliegen (wie Linux selbst) einer speziellen Lizenz, die die kostenlose Weitergabe des Quellcodes erlaubt.
Da Linux also prinzipiell gratis ist (man kann es sich - theoretisch - aus dem Internet laden), zahlt man beim Erwerb einer Distribution nicht für das Programm selbst, sondern für die Anstrengung des Distributeurs (SuSE, RedHat, VA Linux usw.), ein Paket zusammenzustellen. Die Kosten liegen zwischen 70 und 130 DM.
Vor der Installation von Linux sollte man sich dringend informieren, ob die eigene Hardware von Linux unterstützt wird. Vor allem Grafikkarten sollten nicht allzu alt sein. Hilfreich dabei ist zum Beispiel die Datenbank von SuSE (http://cdb.suse.de/), wo man seine Geräte abfragen kann.
Wenn man Linux nun glücklich installiert hat (bei Befolgung der Gebrauchsanweisung und einiger Vorsichtsmaßregeln kein Problem), meldet sich nach dem Einloggen eine grafische Benutzeroberfläche (bei mir KDE). Um es gleich vorweg zu sagen: Man kann mit ihr arbeiten, vieles ist von Windows altbekannt, auch wenn dessen Perfektion nicht ganz erreicht wird.
Allerdings sollte man sich erst einmal sorgfältig mit der Linux/Unix-Philosophie auseinandersetzen, bis man richtig loslegt, sonst wird man die Fähigkeiten des Systems nicht auskosten können. Vor allen Dingen schadet es nicht, sich wieder mit der unter Windows schon totgeglaubten Kommandozeile zu beschäftigen, denn die Kommandoshells unter Unix/Linux sind samt ihrer komplexen Skriptsprachen sehr leistungsfähig und erlauben (nach einiger Einarbeitung) eine hocheffiziente Bedienung des Computers. Hat man sich mit der Kommandoshell erst einmal angefreundet, ist die grafische Schnittstelle gar nicht mehr so wichtig.
Nur: Wer will heutzutage noch den Computer mit der Tastatur bedienen? Um Windows ernsthaft zu gefährden, muß Linux mehr vorzuweisen haben.
Und es hat. Dieser Artikel ist ein gutes Beispiel. Seine ursprüngliche Fassung sah eigentlich ganz anders aus. Aber der Mensch denkt, Bill Gates lenkt. Microsoft Word, auf dem der Artikel aus den verschiedensten Gründen geschrieben werden mußte, gab gleich vier Mal (!) aus völlig unbekannten Gründen den Geist auf (vielleicht gefiel das Thema nicht ...?) und riß ohne Warnung oder Bluescreen gleich das ganze Windows (und den Artikel!) mit sich, was zu Reboots mit den obligatorischen 5-Minuten-Scandisk-Kaffeepausen (und zu verzweifelten Tobsuchtsanfällen) führte.
Das ist mir trotz harter Beanspruchung bei Linux in drei Monaten noch nicht passiert. Sicher, auch dort stürzen Programme ab. Aber das komplette System ist davon jedesmal völlig unberührt geblieben. Einmal mußte der X-Server (die grafische Zwischenschicht) gekillt werden, doch Linux selbst lief und lief und lief.
Mit anderen Worten: In Sachen Betriebssicherheit ist Linux zumindest Windows 9x/Me meilenweit voraus. Um ein stabiles Windows zu bekommen, muß man Windows NT/2000 kaufen - weit teurer als 9x/Me.
Aber wie sieht es mit den Programmen für den täglichen Bedarf aus?
Die Antwort lautet: Höchst unterschiedlich. Mit Star Office ist ein sehr leistungsfähiges und mit MS Office absolut vergleichbares Paket auf dem Markt (was heißt Markt, man kriegt es für lau). Bei mir scheint es auch weniger zu Abstürzen zu neigen als Word. Text, Kalkulation, Datenbank und Präsentation sind kombiniert.
Bei Internetbrowsern ist die Auswahl schon sehr viel bescheidener und beschränkt sich eigentlich auf den Netscape Communicator. Ob man die neue, höchst umstrittene Version 6 oder die doch arg veraltete 4.76 nimmt, ist Geschmacksache. Jedenfalls scheint der Communicator das einzige Browserpaket für Linux zu sein, das alle Anforderungen der modernen Zeit halbwegs erfüllt. Der KDE-eigene Konqueror schien mir arg instabil, und der rein textorientierte Browser Lynx ist nur etwas für Exzentriker. Ein Hoffnungsschimmer ist Opera 4, zur Zeit aber noch sehr beta.
Sagenhafte, paradiesische Überfülle herrscht hingegen bei allem, was Programmierer begehren: der berühmte GNU-C-Compiler; Compiler für Pascal und Fortran77, sogar ein bescheidener Basic-Interpreter; Forth; alle möglichen exotischen Spezialsprachen; professionelle grafische Programmierumgebungen, für die man bei Microsoft oder Borland vierstellige Summen abdrücken muß (wenn man nicht gerade Schüler oder Student ist).
Viele weitere Programme werden mitgeliefert, die eine Linux-Distribution zu einer richtigen Schatztruhe machen. Etwa TeX, das besonders im universitären Bereich sehr verbreitete Satzsystem, mit dem (bzw. seiner Satellitenprogramme) man von der wissenschaftlichen Monographie bis zur PDF-Dokumentation alles erstellen kann, was man will.
Allerdings ist nicht alles Gold, was glänzt. Das Grafikprogramm Gimp glänzt zwar mit unendlich vielen Möglichkeiten, ist aber instabil und kompliziert. (Allerdings - wie fast alles - gratis.) Es gibt bis heute kein ernstzunehmendes nichtkommerzielles Schrifterkennungsprogramm für Linux. TrueType-Fonts aus Windows- und Apple-Systemen können zwar verwendet werden, aber je nach Programm (und X-Server-Version und Grafikkarte ...) erst nach komplizierter Konvertierung und Anmeldung.
Fazit: Wer unter der mangelnden Stabilität von Windows nicht leidet und seine Programme bedienen kann, mehr aber nicht will, sollte bei Windows bleiben, ebenso wenn man Programme braucht, die es unter Linux schlicht nicht gibt (oder nur gegen Cash). Pro Windows spricht auch die Fülle der Free- und Sharewareprogramme.
Wer aber seinem Betriebssystem stärker unter die Haube schauen will oder gerne programmiert, wer schon immer mal erfahren wollte, wie der exzentrischste und leistungsfähigste Editor weit und breit (Emacs) funktioniert, oder wer schlicht für wenig Geld viel Gegenwert kaufen will, der ist mit Linux gut beraten. Von weit fortgeschrittenen Anwendungen wie der Einrichtung eigener Server ganz zu schweigen, für die Linux prädestiniert ist.
Aber stellt sich diese Alternative überhaupt? Windows haben ohnehin alle installiert. Es wäre hirnrissig, es zu deinstallieren. Mit Hilfe eines Bootmanagers kann man seinen Computer bei jedem Hochfahren mitteilen, ob er Linux oder Windows starten soll. Linux oder Windows? Die klare Antwort kann nur lauten: Beide.

G.D.