Editorial

Die Selbstdarsteller

Westerwelle wird FDP-Chef

Die Manipulation der Öffentlichkeit ist ein integraler Bestandteil der Politik. Nicht erst seit heute. Viele große Staatsmänner des vergangenen Jahrhunderts waren auch Meister in der Erzeugung von Illusionen.

Manchmal war dies sogar überlebensnotwendig, und die Politiker werden heute dafür verehrt. Besonders kraß dürfte das Beispiel General de Gaulles sein: Als Hitler 1940 Frankreich besiegt hatte, kapitulierte nicht nur die Armee, sondern auch ein großer Teil der politischen Klasse - in Vichy entstand das beschämende Regime unter Marschall Pétain, abhängig von Hitler. De Gaulle, nach London geflohen, war zuerst eine reine Ein-Mann-Opposition - und doch stellte er sich an, als sei er (ein fähiger, aber nicht besonders prominenter General) der einzige wahre Repräsentant Frankreichs. Dank seiner Persönlichkeit und der (manchmal höchst widerspenstigen) Unterstützung Churchills wurde aus dem Schein langsam ein Sein.

Die Erzeugung einer Aura, eines Images, war stets extrem wichtig. Gerade in der Demokratie versuchen Politiker, sich auf eine ganz bestimmte Weise darzustellen - meist mit Hilfe ihnen wohlgesonnener Medien. Der große Gegenspieler Hitlers, der amerikanische Präsident Franklin Delano Roosevelt, war durch die Folgen einer Kinderlähmung schwer behindert, doch dank der damals noch überaus rücksichtsvollen Presse wurde den Amerikanern die ganze Schwere der Behinderung nie voll bewußt. Roosevelt fürchtete, ein Bild der Schwäche abzugeben, was damals vermutlich realistisch war.

Doch Roosevelt, de Gaulle oder andere große Staatsmänner, die ebenfalls auf der Klaviatur der Manipulation der Öffentlichkeit brillant spielen konnten, wie etwa Konrad Adenauer und Winston Churchill (der für seine Memoiren sogar den Literaturnobelpreis erhielt), boten auch Substanz hinter der Fassade.

Mit der Entscheidung von Wolfgang Gerhardt, sich zugunsten von Guido Westerwelle als FDP-Vorsitzender zurückzuziehen, droht in Deutschland ein Wettlauf der Manipulateure, hinter deren Fassade man kaum noch Substanz erkennen kann. Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Westerwelle sind Meister der Selbstinszenierung. Am geschicktesten stellt es ohne Frage Fischer an; von Substanz ist in seiner Politik nichts mehr zu spüren, nicht einmal linke. Über Schröders Versuche, mit Hilfe von Protzerei Statur zu gewinnen, ist schon viel gespottet worden. Inzwischen sind seine spin doctors, jene Experten für die Manipulation der öffentlichen Meinung, doch etwas raffinierter geworden (wenn auch die unverfrorene und gleichzeitig abstoßende Meisterschaft von Tony Blair bei weitem nicht erreicht wird).

Westerwelle ist nun der Dritte im Bunde, und seine Versuche, mit Schröder und Fischer gleichzuziehen, sind doch recht beachtlich. Keine Talkshow ist ihm zu lächerlich, kein Container zu peinlich. Natürlich ist es schwer, eine kleine, unscheinbare Partei zu verkaufen, deren Spitzenleute Döring, Gerhardt und Brüderle heißen und deren Spitzenfrau nur deswegen im Gedächtnis bleibt, weil sie den längsten Doppelnamen Deutschlands trägt. Und ohne die regelmäßigen Fallschirmsprünge von Jürgen "18%" Möllemann sähe es noch düsterer aus. Allerdings hat bisher niemand so recht herausfinden können, wofür die FDP steht.

Man könnte sich aber auch fragen, ob die Wähler die Selbstinszenierer und Staatsschauspieler nicht irgendwann leid sind und sich wieder etwas Authentischeres wünschen. Vielleicht die Stunde von Angela Merkel?

G.D.