Satire

Update

Neue (?) Kanzler braucht das Land

Die Zeiten für die Bundesregierung sind härter geworden. Die CDU-Spendenaffäre versinkt im kollektiven Vergessen. Diverse Minister werden zurückgetreten. Hans Eichels Lieblingshaustier bekommt die Schweinepest. Erste Fälle von Rinderwahnsinn in der Bundestagskantine. Das Bündnis für Arbeit steht vor dem Aus. Die Bevölkerung lechzt nach Leitkultur und billigem Sprit. Die Umfragewerte gehen nach unten.

Hypermoderne Multimillionen-Euro-SPD-Baracke. Genosse Generalsekretär Franz Müntefering, Bundeskanzler und Parteivorsitzender Gerhard Schröder, Kassenwartin Inge Wettig-Danielmeier, Finanzminister Hans Eichel, Fraktionschef Peter Struck, NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement und - als Überraschungsgast - Ex-Juso-Chefin Andrea Nahles als Vertreterin aller Betriebsnudeln, Rebellen/innen und Minderheiten in der SPD.


Müntefering (wedelt ein Papier): Genossen und Genossinnen, es könnte besser aussehen. Der Wahlkampf für 2002 beginnt. Die letzten Umfragedaten sind alles andere als berauschend. Vor allen Dingen (vorsichtiger Seitenblick auf Schröder) haben sich die Wähler an Deine souveräne Art so gewöhnt, daß uns das kaum noch Pluspunkte bringt.

Schröder (fühlt sich gebauchpinselt): Naja ... hört sich doch ganz gut an. (schnippt mit den Fingern, Saaldiener mit tief heruntergezogener Kappe bringt sündhaft teure französische Weine und eine neue 800-Euro-Cohiba-Zigarre). Aber was meinst Du mit " ... bringt uns kaum noch Pluspunkte"?

Nahles (halblaut): Daß du ein genauso angepaßtes, aalglattes, fettes Polit-Mist-stück bist wie alle anderen auch.

Müntefering: Gert, wenn das Sparschwein von Hans krank ist und sogar die deutsche Großindustrie signalisiert, daß sie gegen eine CDU/CSU-Bundesregierung nicht mehr unbedingt etwas einzuwenden hätte, und die Umfragewerte bei 28% pendeln, besteht Handlungsbedarf.

Struck: Und was sollen wir tun? (Erfreut) Weitere Minister entlassen? Ich hätte da einige Ideen ...

Müntefering: Irgendwann sind alle in der SPD-Fraktion ja schon mal drangewesen ...

Wettig-Danielmeier: Ich nicht!

Clement Mit dem Gesicht ...

Wettig-Danielmeier: Also bitte!

Müntefering: Ich habe mir gedacht, wir ändern unsere bisherige Imagekampagne für dich, Gert.

Schröder: Och.

Nahles: Gerhard, unser Problem bist du! Abgehobener Cohiba-rauchender Kaschmir-Kanzler mit besten Beziehungen zum großen Geld. Was gedenkst du dagegen zu unternehmen?

Schröder: Willste Staatssekretärin werden?

Nahles (mit leuchtenden Augen): Ehrlich? Wo?

Müntefering (beginnt langsam zu verzweifeln): Gert, das ist auch so ein Problem. Nach meinem Abgang gab es kaum noch Siegertypen in der Regierung!

Saaldiener (der sich als ehemaliger Verkehrsminister Klimmt entpuppt): Das stimmt nicht! Ich war auch ein Siegertyp! (leert weiteren Aschenbecher aus) Unter meiner Führung hat der 1. FC Saarbrücken den Abstieg vermieden ...

Struck: Was macht der denn hier? Ich hab ihn doch hier weggeekelt!

Müntefering: Er leistet hier seine 180 Tage Sozialarbeit ab, zu der ihm das Gericht wegen Beihilfe zur Untreue verurteilt hat. - Zur Sache. Wir brauchen ein neues Image.

Alle (im Chor): Nein, nicht schon wieder!

Müntefering: Nur keine Aufregung, wir werden die Identität der Partei der Arbeiterbewegung nicht antasten (abstraktes Gemälde von Herbert Wehner an der Wand nickt anerkennend).
Wenige Tage später. Dieselbe Runde. Der sündhaft teure Imageberater Tristan Roy von Bebel betritt in einem wallenden arbeiterroten Gewand die Baracke, im Gefolge eine Crew durchgestylter, aalglatter Gehilfen, die Flipcharts, Videokameras und Laptops schleppen und den Sitzungssaal stürmen.


Müntefering: Ruhe, Genossinnen und Genossen -

Tristan Roy von Bebel (affektiert): Hach, wie geschmacklos! Das müssen wir als erstes ändern. "Genosse", also wirklich! Da muß man ja husten! Und diese verkrampfte Geschlechtsneutralität! Ekelhaft!

Nahles (braust auf): Herr von Bebel, Sie trampeln auf 130 Jahre Tradition der SPD und über 50 Jahre Frauenbewegung herum!

Tristan Roy von Bebel: Nennt mich doch Tris, liebe Kinder. Und die Tradition: Macht insgesamt 180 Jahre Image-Trash. Glaubt ihr wirklich, damit würdet ihr die nächste Wahl gewinnen? Nie.

Nahles: Aber ...

Tris (wedelt gelangweilt mit der Hand): Saaldiener, entfernen Sie dieses reaktionäre Etwas aus dem Raum. Sie stört meine Aura. (Klimmt entfernt mit Genuß die strampelnde und kreischende Nahles aus dem Saal.) - (Blickt sich um) Wobei auch diese Architektur - modern, kalt - nicht gerade inspirierend ist. (Abstraktes Gemälde von Herbert Wehner nickt heftig.)

Müntefering: Jetzt laß mal unsere Aura Aura sein. Es geht um nackte Zahlen, Daten, Fakten und Umfrageergebnisse. Wie müssen wir Gert aufpeppen, damit die Menschen ihn wieder liebhaben?

Tris: (enttäuscht): Waaaas, für so ein einfaches Problem braucht ihr mich? Laßt Gerry die Mineralölsteuer um 50 Pfennig - oder besser eine Mark, denn mein Silver Ghost schluckt in letzter Zeit ziemlich viel - senken, und die nächste Wahl ist gelaufen. Selbst ich käme in Versuchung.

Eichel: Das kommt überhaupt nicht in Frage! Wir sterben mit dem Zapfhahn in der Hand!

Tris (zieht die Augenbrauen hoch): Sehr heroisch. Ein guter Slogan. (An die Mitarbeiter) Notieren! Gut, wenn ihr also partout die kompliziertere Lösung wollt, haben wir eine Menge Arbeit vor uns. Aber das Ziel ist nicht aussichtslos. Denn wir können immerhin auf die Vorarbeit anderer zurückblicken.

Müntefering: Erklär uns doch erst mal mit einfachen Worten, was wir außer Nahles für Probleme haben.

Tris: Riester, Cohiba, Steuerreform, Rentenreform, EU-Osterweiterung, Johannes Rau, Leitkultur, Sprit, Bundeswehr, Scharping, Arbeiterpartei ohne Arbeiter. ...

Alle: Aufhören!

M6uuml;ntefering: Was können wir ändern?

Tris: Auf den Kanzler kommt es an. Sein Erscheinungsbild muß neu geschaffen und an den Interessen der Wählerschaft ausgerichtet werden.

Schröder: Was, schon wieder?

Tris (flötet): Gerry, Kindchen, du brauchst ein Update. Schröder98 wird 2002 garantiert abstürzen. (Alle Assistenten nicken wie ein Mann mit dem Kopf.) Als erstes wären da die unveränderlichen Merkmale. Fangen wir mit der Körpergröße an. Seid doch mal ehrlich: Wollt ihr eigentlich von einem Zwerg regiert werden? (Übertönt Protestrufe von Schröder) Die Leute wollen zu Politiker aufschauen und ihnen nicht aufs Toupet spucken können.

Schröder: Also ich ...

Müntefering: Rede weiter, Tris. Als wir ihn zum Autokanzler umgestrickt haben, hat er sich auch so angestellt. Nur die dritte Ehe ist dabei draufgegangen.

Tris: Die Ehe kommt gleich. Zuerst werden wir einen geeigneten chirurgischen oder mechanischen Weg finden, um die Größe hinzubekommen. Nächster Punkt: Die Brille. Viel zu modern. Die Menschen können sich besser mit Kassenmodellen identifizieren als mit Brillen toter Modeschöpfer.

Wettig-Danielmeier (erfreut): Preiswerter Vorschlag. Sehr gut.

Tris: Zum Thema Kaschmir sag ich nur eins: Vergessen Sie?s.

Schröder (mit den Tränen kämpfend): Aber meine Zigarren darf ich behalten?!

Tris: Das wäre das nächste gewesen.

Schröder: Nein!

Tris: Und jetzt kommen zwei etwas heiklere Punkte.

Clement: Das Toupet?

Tris: Notieren: Drei Punkte. Erster Punkt: Die Augenfarbe. Stahlgrau ist in unserer heutigen Zeit, wo bald das hochauflösende Digitalfernsehen kommt, einfach vollkommen inakzeptabel. Empfehlenswert ist ausschließlich ein warmes Braun, mit entsprechenden Kontaktlinsen leicht zu erzielen. Zweiter Punkt ist die Ehefrau. Viel zu dürr, keine Identifikationsmöglichkeit für 30 Millionen Hausfrauen. Also entweder Runderneuerung oder Wechsel. Du selbst könntest übrigens auch etwas mehr auf den Rippen gebrauchen. Dritter Punkt, zu Recht erwähnt: Toupet. Der Mann von heute steht zu seiner Kahlheit. Siehe Meyer von der CDU.

Schröder (erzürnt): Ich habe kein Toupet!

Tris (ungerührt): 60% der Bevölkerung glauben es aber. Glaube ist mein Geschäft, nicht Wahrheit. Wir können gerne einige Vorschläge zur Haarausdünnung erarbeiten.

Müntefering (ignoriert den von konvulsivischen Zuckungen gebeutelten Kanzler): Geht das nicht ein bißchen weit?

Tris: Aber nicht doch! Ich habe doch noch gar nicht richtig angefangen! Urlaubsziel: Statt Toskana oder Mallorca am besten in Deutschland oder höchstens Österreich ...

***
Drei Monate später. Bundeskanzler Gerhard Schröder wird vor dem Weißen Haus vom neuen US-Präsidenten empfangen.


Protokollbeamter: Mr. President, the German Chancellor.

Präsident (jovial, einstudierter deutscher Satz): Ick froie mich sähr, einen alten Freund Americas hier begrußen zu durfen, ein Mann, der Weltstaatsmann ist: Welcome, Mr. Kohl!

G.D./K.R./MiWi