Politik

Mit Volldampf in die Sackgasse

Die Bahn ist kranker denn je

Mitte November legte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, Hartmut Mehdorn, die ernüchternde Bestandsaufnahme seines Unternehmens vor und mußte damit indirekt das einstweilige Scheitern der 1994 noch unter der Regierung Helmut Kohl eingeleiteten Bahnreform eingestehen. Der für das Jahr 2004 geplante Gang an die Börse dürfte sich jedenfalls damit auf zunächst unbestimmte Zeit erledigt haben.
Tags darauf trat Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt zurück, jedoch nicht aus vorgenanntem Grund, sondern wegen Unregelmäßigkeiten, die auf seiner Präsidentschaft beim Fußballklub 1. FC Saarbrücken herrühren.
Das noch bundeseigene Unternehmen Bahn weist bis 2005 einen Finanzbedarf von rund zwanzig Milliarden Mark auf. Verheerende Investitionsrückstände bei der Infrastruktur, also vornehmlich dem langsam verkommenden Schienennetz, finanziell aus dem Ruder geratene Großprojekte sowie zu optimistisch ausgefallene Umsatzprognosen sind dafür die wesentlichen Ursachen.

Verheerende Investitionsrückstände

Nun mag die rot-grüne Regierungskoalition die Schuld dafür nach nur allzu bewährtem Muster auf ihre christlich-liberalen Vorgänger schieben. Dies ist aber ebensowenig richtig, wie man dafür die gegenwärtige Regierung oder gar ausschließlich Herrn Mehdorn samt seiner Vorgänger im Amt, Dürr und Ludewig, dafür in Haftung nehmen kann.
Der gegenwärtige Zustand des Unternehmens Zukunft, wie sich die Bahn zuweilen gerne schimpft, ist das Ergebnis einer Verkehrspolitik, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zieht. Nämlich einer Politik, welche die Straße stets der Schiene vorzog.

Keine Lobby

Das Verkehrsmittel Eisenbahn hatte nie die Lobby, über die der Kraftverkehr nach wie vor verfügt. Nachdem die Bahn einen wesentlichen Beitrag zum Wiederaufbau der Bundesrepublik leistete und damit durchaus ihren Anteil am Entstehen des Wirtschaftswunders hat, verkam sie zunehmend zum ungeliebten Kostgänger und Zuschußobjekt.
Von der Bahnreform versprach man sich den Befreiungsschlag, und die Politik war zunächst froh, die Verantwortung für das Unternehmen ein Stück weit Managern aus der Wirtschaft übertragen zu können. Die würden es dann mit ihren Methoden und Rezepten schon richten.
Erklärtes Ziel der Bahnreform war neben dem Erreichen der Gewinnzone, mehr Verkehr auf die Gleise zu bringen. Im Personenverkehr wie auch im Güterverkehr. Auch letztere Vorgabe wurde bei weitem verfehlt, und als ob dies noch nicht reicht, ist die Deutsche Bahn AG im Ansehen ihrer Kunden und Fahrgäste so tief gesunken wie noch nie.
Die Gründe dafür liegen nicht zuletzt darin, wie die Bahnreform angegangen wurde und natürlich auch darin, daß bislang 130.000 Arbeitsplätze abgebaut wurden. Wer sonst sollte dies im alltäglichen Betriebsablauf zu spüren bekommen, wenn nicht diejenigen, welche die Bahn tagtäglich als Beförderungsmittel nutzen, sofern diese dem Unternehmen Bahn AG noch nicht den Rücken gekehrt haben?
Mit der Bahnreform gelangte betriebswirtschaftlicher Sachverstand in die Führungsetagen der Bahn, der jedoch nicht mit eisenbahnspezifischem Fachwissen gepaart war. Das eine bedingt jedoch das andere, um ein derart komplexes und ineinander verzahntes Räderwerk wie das System Eisenbahn erfolgreich führen zu können.

Kein bahnspezifisches Fachwissen

Die damit einhergehende Aufspaltung des Unternehmens in verschiedene Geschäftsbereiche mochte zwar hinsichtlich der Kosten- und Leistungsrechnung Sinn machen, führte in der Praxis aber zu Reibungsverlusten, Verselbständigungen und sogar zu manch einem Gegeneinander. Dies hatte eine Verunsicherung des Personals zur Folge, welches in weiten Teilen in seinen Grundfesten der Identität als Eisenbahner erschüttert wurde.
Zudem jagte eine interne Umstrukturierung die nächste, so daß mitunter die eindeutige Zuweisung von Verantwortlichkeiten nahezu unmöglich war. Mittlerweile ist die Bahn AG wieder soweit, daß sie ihrem Personal gebetsmühlenartig die Weisheit zu verstehen gibt, daß sie eben dem Grunde nach ein Unternehmen sei, an dem alle an einem Strang ziehen müssen. Denn den Kunden interessiert es in der Tat nicht, welcher Geschäftsbereich eine Verspätung oder einem Mißstand zu vertreten hat. Er kennt nur die Bahn als solche, näheres muß ihn in diesem Zusammenhang auch nicht weiter beschäftigen.
Um vor allen Dingen dem hohen Erwartungsdruck der Politik gerecht zu werden und möglichst schnell mit in Zahlen belegbaren Erfolgen aufzuwarten, legte man einen strengen und vor allen Dingen einen von hohem Aktionismus geprägten Sanierungskurs an den Tag. Es wurde gespart und Kosten reduziert, kostete es eben, was es wollte. Mit der Folge, daß heute ein Sanierungsrückstau vorhanden ist, der eben auf dieser Taktik beruht, nur das Notwendigste zu betreiben, was eben für die Aufrechterhaltung des Betriebes erforderlich war.
Anstatt seine Hausaufgaben dergestalt zu erledigen, Züge pünktlich an- und abfahren zu lassen, widmete man sich zudem lieber ehrgeizigen und prestigeträchtigen Projekten wie der Umgestaltung des Leipziger Hauptbahnhofes und der Vermarktung von Immobilien in weiteren attraktiven Innenstadtlagen bundesdeutscher Hauptbahnhöfe. Dies hat jedoch mehr mit konkreter Stadtentwicklungspolitik zu tun als mit der wenig spektakulären Aufgabe der Abwicklung von Zugverkehren. Dabei ist es keine neue Erkenntnis, daß ein Unternehmen stets dann ins Trudeln gerät, wenn es sein eigentliches Kerngeschäft vernachlässigt und nur als lästige Pflichtaufgabe betrachtet.

Diskriminierung der Konkurrenz

Dagegen verlor man bei allem Drang zur Kostensenkung das Ziel aus den Augen, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Man versuchte gar, der aufkommenden Konkurrenz, der fortan das Schienennetz zur Verfügung stand, durch diskriminierende Trassenpreise das Geschäft zu verderben und verschrottet lieber eigene Lokomotiven, bevor man diese auf dem Markt für gebrauchte Schienenfahrzeuge anbietet.
Einschlägige Firmen besorgen sich daher gebrauchte Diesellokomotiven aus sowjetischer Produktion von Bahnverwaltungen des ehemaligen Ostblocks, um dann mit diesen Maschinen nach grundlegender Instandsetzung und Remotorisierung auf dem Markt auftreten zu können. Oder etwa wie die Karsdorfer Eisenbahngesellschaft, die gleich bei der rumänischen Lokomotivfabrik "23. August" in Bukarest Lokomotiven bauen läßt.
Daß es auch anders geht, wird der Bahn AG inzwischen immer häufiger dort bewiesen, wo sie Ausschreibungen verliert und private Gesellschaften oder von Zweckverbänden getragene Unternehmen Strecken übernehmen oder gar längst stillgelegte Verbindungen wieder aktivieren. Freilich bedarf es dazu stets erst teilweise erheblicher Investitionen und einer gewissen Anlaufzeit, bevor Fahrgastzuwächse durch entsprechende Akzeptanz erzielt werden. Aber der Erfolg gibt gerade in der Fläche solchen Projekten immer wieder recht.

Die Fläche macht?s

Die Bahn AG beschrauml;nkt sich hier nur auf den hochwertigen Reiseverkehr mit dem InterCityExpress (ICE), dessen dritte technische Generation gerade in Betrieb geht. Sicherlich ist dies auch ein wichtiges Element der Verkehrspolitik, aber ohne Andienung aus der Fläche wird der Hochgeschwindigkeitsverkehr mehr und mehr für die breite Masse der Reisenden uninteressant. Nun muß man der Bahn AG fairerweise auch zugute halten, daß ihr die großen Projekte von der Politik quasi verordnet worden sind und man ihr nur zu gerne Betreiberrisiko einer Transrapidstrecke aufdrücken möchte.
Ob diese denn als Verbindung zwischen Hamburg und Berlin daherkommt oder, wie es nun im Gespräch ist, als Metrorapid durchs Ruhrgebiet schweben soll - dafür benötigte Mittel gehen dem konventionellen Schienenverkehr veroren.
Wenn schon Bahnchef Hartmut Mehdorn frank und frei einräumt, daß Güterverkehr bei Relationen unter 150 Entfernungskilometern auf der Straße wirtschaftlicher zu bewerkstelligen ist (Experten sehen dies gar erst ab einer Entfernung über 400 Kilometern), mag er damit ja durchaus recht haben. Aber wenn er als Vorstandsvorsitzender der Bahn AG derartige Umstände nicht stillschweigend zur Kenntnis nimmt, sondern lauthals auf den Markt trägt, beweist dies, inwieweit sich hier der Betriebswirtschaftler als Lobby seines eigenen Produktes beziehungsweise Angebotes versteht.
Seine vornehmste Aufgabe sollte darin bestehen, als Betriebswirtschaftler nach Mitteln und Wegen zu suchen, die Bahn auch auf solchen kurzen Strecken wieder wirtschaftlich und wettbewerbsfähig zu machen. Denn der Kollaps auf den Straßen wird auch bei weiterhin steigenden Treibstoffpreisen und Abgaben unausweichlich sein.
Die Bahn wird weiterer Anschubfinanzierung bedürfen, um die Bahnreform dennoch noch in trockene Tücher zu bekommen und die Schiene wieder zu einem Massenverkehrsmittel zu entwickeln. Denn ein leistungsfähiges Schienennetz ist ebenso wie die Straße Standortfaktor und ein volkswirtschaftlicher Wert. Ordnungspolitisch sollte man sich vergegenwärtigen, weshalb die Bahn zur Zahlung von Mineralölsteuer herangezogen wird, während Flugbenzin steuerfrei belassen wird.
Arbeitsplätze in der hochsubventionierten Luftfahrtindustrie zu erhalten ist das eine, bei der Bahn AG weitere 60.000 Jobs bis 2005 zu kappen das andere.
Der von Mehdorn nunmehr angekündigte "harte Sanierungskurs" wird die Bahn jedenfalls nur noch weiter in die bereits eingeschlagene Sackgasse führen.