Editorial

Voreilige Anschuldigungen

Leit- und Streitkultur in Deutschland

Scheinbar sieht es so aus, als habe sich die CDU mal wieder zu weit vorgewagt und ist einen Tick zu weit rechts von der Mitte. Zwar wird nach dem Landtagswahlkampf in NRW und Rüttgers' "Kinder statt Inder"-Kampagne jede Äußerung der CDU im Zusammenhang mit Ausländerpolitik besonders stark unter die Lupe genommen, doch ist das momentane Geschehen rund um die Leitkultur eine Verunglimpfung der CDU.

Zugegeben, man muss eingestehen, dass der Wahlkampf mit "Kinder statt Inder" eine verunglückte und voreilige Aktion war, denn es ist zu bedenken, dass die BRD [er meint Deutschland, der Webmaster] ihre Sozialsysteme in absehbarer Zukunft ohne eine geregelte Zuwanderung nicht mehr finanzieren kann. Dennoch ist die Vorverurteilung des Wortes "Leitkultur" eine undurchdachte Kurzschlussreaktion. Denn setzt man sich näher mit dem Begriff auseinander, so macht er durchaus Sinn.

Keine Verhinderung von Zuzug

Zudem geht es bei diesem Thema nicht um die Verhinderung von Zuzug, sondern um die Integration von Ausländern und die Wiederherstellung einer funktionierenden Gesellschaft, in der das Miteinander der Menschen wieder funktioniert. Multikulturell ist zwar schön, aber muss man doch auch auf die Verständigung der verschiedene Gruppen Acht geben. Sonst verstärkt sich eine schlechte Entwicklung, die bereits jetzt fast außer Kontrolle geraten ist.
Die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen finden keine gemeinsame Basis mehr. Wie sonst wäre es zu erklären, dass viele Ausländer ausschließlich unter ihren Landsleuten leben wollen, ebenso wie Deutsche häufig Ausländer in ihrer Nachbarschaft nicht akzeptieren?
Dies kann und darf nicht in unserem Interesse sein, denn wenn Türken, Polen, Albaner, Jugoslawen und Deutsche sich nicht mehr miteinander austauschen können, schürt dies Vorurteile und schafft Missverständnisse auf beiden Seiten. Deshalb ist eine Leitkultur so wichtig.
Der Begriff Leitkultur ist übrigens keine Eigenkreation von Angela Merkel oder Friedrich Merz, sondern stammt vielmehr von Bassam Tibi. Tibi ist ein anerkannter Experte für Fragen, die den Islam und die arabische Kultur betreffen. Er ist Moslem und besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Bassam Tibi erwähnt in einem seiner Bücher die "europäische Leitkultur" und meint damit ein Netz von Werten, welches in der Europäischen Union Gültigkeit besitzt. Damit sind so fundamentale Dinge gemeint wie Menschenrechte oder Gesetze.

Netz von Werten

Demnach kann man die "europäische Leitkultur" auch auf Deutschland übertragen, ohne dass damit gemeint ist, dass jeder, der in Deutschland leben will, jodeln muss, Lederhosen zu tragen hat und in rauen Mengen Sauerkraut vertilgen muss. Es ist etwas ganz anderes gemeint, und zwar, dass alle Menschen, die für längere Zeit in Deutschland leben wollen, sich zur deutschen Verfassung und unseren Gesetzen bekennen müssen, ebenso wie sie die deutsche Sprache beherrschen sollten. Allerdings ist damit wiederum nicht gemeint, dass ganze Dramen von Schiller oder Goethe zitiert werden müssen, sondern dass die Menschen die elementaren Grundkenntnisse der deutschen Sprache beherrschen, um sich im Alltag bewegen zu können.
Auch aus dem Blickwinkel der Sozialwissenschaften beschreibt Kultur Werte und Normen, die das Zusammenleben erleichtern und steuern. Somit hat die Leitkultur einen durchweg positiven Effekt, sie schafft eine gemeinsame Basis, auf der sich alle Kulturen in Deutschland gleichberechtigt treffen können. Niemandem soll seine Individualität oder Eigenständigkeit genommen werden, sondern die Menschen sollen sich wieder austauschen können, um einen gegenseitige Befruchtung der Kulturen möglich zu machen.

Bloße Koexistenz ist nicht genug

Der Union ist bloße Koexistenz nicht genug, bei der Menschen nach Staatsangehörigkeit sortiert nebeneinander leben, sondern sie will einen Austausch, eine gegenseitige Bereicherung und eine Vermischung der Kulturen. Dabei hat sie keine Angst davor, unangenehme Themen wie Spielregeln einer Gesellschaft (=Leitkultur) anzusprechen. Denn nur durch Diskussion kann man Vorurteilen Einhalt gebieten und die Rechtsextremen entkräften.
Doch scheint die Regierung lieber weiter schlafen zu wollen und äußert sich deswegen derzeit kaum zur Ausländerpolitik. Doch mit dem "Augen zu und durch-Prinzip", nachdem die Welle der rechtsradikalen Übergriffe schon von allein wieder abebben wird, betritt sie einen gefährlichen Pfad.

M.P.