Editorial

Krampf gegen rechts

Die politische Elite zeigt sich wehrhaft demokratisch - ganz ohne Hintergedanken, versteht sich

Am 9. November marschieren die deutschen Parteien und Massenorganisationen zum Brandenburger Tor. Angeführt von Bundespräsident Rau, mit Schröder und Merkel, Paul Spiegel und Bischof Lehmann, Arbeitgebern und Gewerkschaften, Lehrern und Schulklassen, Boris Becker und Steffi Graf, nicht zuletzt mit der PDS (ehemals SED) und vermutlich Hunderttausenden jener Bürger, die (gefahrlos) den "Aufstand der Anständigen" (Schröder) proben.
Dieser Aufmarsch, so nobel sein Ansinnen gegen Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus auch sein mag, ist jedoch mehr als problematisch. Er reiht sich ein in die hysterische Hektik der letzten Monate, bei der lediglich die Rechtsradikalen ziemlich still blieben.

Warum problematisch?
  1. In einer "Zivilgesellschaft" (Joschka Fischer) pflegt eigentlich ein Teil des Volkes gegen die Regierung zu demonstrieren, nicht umgekehrt. Unsere Polit-Promis (lobenswerte Ausnahme: die CSU) münzen das Demonstrationsrecht in einen Staatsakt um. Aus einem Recht wird eine faktische Pflicht. Das soll zivil sein?


  2. Politische Ziele
  3. Den politischen Initiatoren bei Rot-Grün geht es weniger um die Bekämpfung der Ausländerfeindlichkeit. Sie wollen mehrere politische Ziele auf einmal erreichen, wobei an erster Stelle die moralische Entwaffnung der CDU/CSU steht. Das Thema Einwanderung/Ausländer/Integration, das eine große Mehrheit der Bevölkerung umtreibt, soll derart sorgfältig tabuisiert werden, daß sich die Union nicht traut, es 2002 im Bundestagswahlkampf zu verwenden. Die Attacken auf CDU/CSU-Fraktionschef Merz, der eben das will und auch noch den Begriff "deutsche Leitkultur" populär machte (peinlicherweise für die Linken stammt der Begriff von Bassam Tibi, Deutscher libanesischer Herkunft, Arabist und Islam-Experte), belegen das deutlich. Daß die CDU trotzdem mitmarschieren will, ist ein politisches Eigentor.

    PDS hoffähig
    Ein weiteres Ziel von Rot-Grün ist es, die PDS endgültig hoffähig zu machen. Sie wird symbolisch in die Reihe der Demokraten aufgenommen; mittelfristig soll sie in Brandenburg (Stolpe wird von Berlin aus schon unterminiert) und langfristig in allen neuen Ländern als Koalitionspartner bereitstehen. Die SPD-Linke redet sogar schon von Fusion (Andrea Nahles).
  4. Ein weiterer Webfehler dieses Aufmarsches: Man m6uuml;ßte eigentlich genauso die linke Gewalt anprangern. Zwar beschränkt die sich zur Zeit mangels mörderischer Vision auf "antifaschistische" Schlägereien oder jene Gewalt gegen Sachen, von der man so gerne mal was von unserem Außenminister hören will. Aber Gewalt ist Gewalt. Allerdings hätte ein etwas ausgewogenerer Aufmarsch vermutlich einen großen Nachteil: Seine Lächerlichkeit käme zum Vorschein. Die Bürger würden sagen: "Anstatt große Reden zu schwingen, tut mal lieber was für Polizei und Justiz, wo nun weiß Gott einiges im Argen liegt!" Und sie hätten recht.
  5. Der Aufmarsch verschleiert die Gründe von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Man wird nichts sagen über den um sich greifenden Atheismus; nichts über das völlig fehlende Basiswissen über unseren Staat bei weiten Teilen der Jugend (sicher wird Herr Rau seine eigenen Versäumnisse als Ministerpräsident nicht an die große Glocke hängen); nichts über unser ziemlich jämmerliches Nationalgefähl, da sich mit dem der USA, Großbritanniens oder Frankreichs nicht messen kann; und wahrscheinlich auch sehr wenig über die sich tendenziell zurückbildende Integration der Ausländer aus fremden (also nicht vom Christentum und der Aufklärung geprägten) Kulturkreisen. Der Entwurf für ein Deutschland, wie es in 20 Jahren aussehen soll, wird fehlen. Vielleicht weil man um eine mühsame Umschreibung von "deutscher Leitkultur" nicht herumkäme?
  6. Der Aufmarsch wendet sich auch an jene, die "wegschauen" oder zu wenig Zivilcourage zeigen. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Bei aller gebotenen Zivilcourage (die in unserem Land tatsächlich nicht gerade verwurzelt ist - dafür sind unsere obrigkeitsstaatlichen Reflexe noch viel zu stark): Es ist Aufgabe des Staates, sein Gewaltmonopol überall durchzusetzen. Ob in von Skins "übernommenen" Vierteln oder in den Ghettos von Berlin, Köln und Frankfurt. Es wäre interessant, wie unser dienstwagenbeschützter Durchschnittspolitiker die Frage löst, ob er sich etwa in einer fast leeren S-Bahn zivilcouragiert die Zähne ausschlagen läßt oder nicht.
Beim Kampf gegen Gewalt sollten wir darüber reden (und streiten), was staatlicherseits getan werden kann. Wolkige Demos mit politischen Hintergedanken und Boring Johannes als einzigem Redner schaden mehr, als sie nutzen. Auch weil sie die rechte Szene eher zusammenschweißen, oder, noch schlimmer, für schlichte Seelen erst attraktiv machen: Einige wenige gegen fast alle. Lonely riders. Brrrr!

Die Sommerzeit endet, und mit ihr, so steht zu befürchten, beginnt die Lichterkettensaison der guten Menschen dieses tief verunsicherten Gemeinwesens. Die Kerzen werden die Nacht erhellen. Die Hirne nicht unbedingt.

Disclaimer
Hier das obligatorische Dementi jeder Faschismus-Verdächtigung:
Der Autor dieses Artikels ist ein aufrechter Demokrat; für ihn sind alle Menschen gleichwertig; er lehnt alle Formen nicht legaler Gewalt ab, plädiert für Integration und friedliches Miteinander und steht auch sonst auf dem Boden des Grundgesetzes, der Europäischen Menschenrechts- und der UN-Charta.