Politik

"REAKTIONÄR UND HOCHGRADIG GEFÄHRLICH"

Politische Umweltverschmutzung: Ein nicht ganz ausgewogener Rückblick auf 10 Jahre deutsche Einheit

Am 3. Oktober dieses Jahres begehen wir den zehnten Jahrestag dessen, was der heutige Bundeskanzler Gerhard Schröder noch im Herbst 1989 als "reaktionär und hochgradig gefährlich" bezeichnete: Durch den Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland wurde das Ziel der Wiedervereinigung vollendet. Schröder, seinerzeit Oppositionsführer im niedersächsischen Landtag, knüpfte mit seinem Zitat vom 27. September 1989 nahtlos an das an, was in seiner sozialdemokratischen Partei spätestens mit der sogenannten Ostpolitik Willy Brandts begann und mit Hilfe von Egon Bahr konsequent betrieben wurde: Die Aufgabe des im Grundgesetz verankerten Verfassungsgebotes der Wiedervereinigung.

Lebenslüge?

Egon Bahr war es denn auch, der selbst im Oktober 1989 noch äußerte: "Laßt uns um alles in der Welt aufhören, von der Einheit zu träumen oder zu schwätzen." Da hatte ein Willy Brandt "die Hoffnung auf Wiedervereinigung" bereits als "Lebenslüge der zweiten Deutschen Republik" denunziert. Dafür pflegte man mit den Machthabern der SED lieber so seine Gemeinsamkeiten. 1987 erstellte man ein sogenanntes Grundwertepapier, in dem es heißt: "Sozialdemokraten und Kommunisten berufen sich auf das humanistische Erbe Europas. Beide nehmen für sich in Anspruch, dieses Erbe weiterzutragen, den Interessen der arbeitenden Menschen verpflichtet zu sein, Demokratie und Menschenrechte zu verwirklichen." Weiter lautet das Manifest: "Beide Seiten müssen sich auf einen langen Zeitraum einrichten, währenddessen sie nebeneinander bestehen und miteinander auskommen müssen. Keine Seite darf der anderen die Existenzberechtigung absprechen. Unsere Hoffnung kann sich nicht darauf richten, daß ein System das andere abschafft."
In diesem Sinne machte sich die SPD dann auch die 1980 von DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker erhobenen "Gerarer Forderungen zu eigen, als da wären: Anerkennung einer eigenen Staatsbürgerschaft der DDR, Auflösung der Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter, Umwandlung der Ständigen Vertretungen in Botschaften und eine Neuregelung des Grenzverlaufs auf der Elbe (Flußmitte als Grenzlinie).
In der Konsequenz hätte dies das Thema Wiedervereinigung auf seine Weise ebenfalls erledigt. Nämlich ein für alle mal, indem die Existenz der DDR als Staat anerkannt und festgeschrieben worden wäre.
Den Unionsparteien hingegen warf man vor, daß Festhalten an der Wiedervereinigung sei "objektiv und subjektiv eine Lüge, Heuchelei, die uns und andere vergiftet, politische Umweltverschmutzung".


Europa gefährdet?

Und ausgerechnet der CDU, die mit Konrad Adenauer und in dessen Tradition auch Helmut Kohl zu den Wegbereitern eines vereinten Europas zählt, drohte man: "Wer die deutsche Frage aufwirft, stört Europa". Das Papier von 1987 ist auch nach zehn Jahren noch immer nicht widerrufen worden. Vielmehr findet die Beziehung zwischen der SPD und der SED-Nachfolgepartei PDS ihre Fortsetzung in einer Koalition in Mecklenburg-Vorpommern sowie einer Tolerierung einer SPD-geführten Regierung unter Ministerpräsident Reinhard Höppner in Sachsen-Anhalt.
Jahrestage, zumal noch solche Runden, sind mitunter auch dafür geeignet, an derartige geradezu widernatürlichen Fehlentwicklungen zu erinnern. Die noch dazu ihren Ursprung in einer Partei haben, die unter ihrem Vorsitzenden Gerhard Schröder keine Gelegenheit ausläßt, auf jedweden Zug des Zeitgeistes aufzuspringen.
1989 jedoch vermochte man die Richtung, welche der Zug nahm, nicht zu erkennen und beschränkte sich lediglich auf die Opportunitäten des politischen Tagesgeschäftes. Grundsätzliche politische Überzeugungen überdauern halt zuweilen das, was der Zeitgeist gerade für angesagt hält.


Sommertheater

Da hilft es auch nicht, wenn Bundeskanzler Schröder kurz vor diesem bedeutenden Jahrestag sein Herz für die fünf neuen Bundesländer entdeckt und eine Sommerreise dorthin quasi als möglichst publikumswirksames und medienträchtiges Sommertheater inszeniert. Aber erst nachdem die SPD in einer Abfolge von Landtagswahlen von den Wählern im Osten unserer Republik um das eine oder andere Mal regelrecht abgestraft wurde. So scheint es sich im Falle von Schröder nicht um eine neu entdeckte Liebe zu Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt sowie Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zu handeln, sondern um puren Machterhalt und Stimmenfang, indem er in jede hingehaltene Thüringer Rostbratwurst beißt, sofern sich auf diese eben nur eine Kamera richtet.
Der Genosse der Bosse, unser Cohiba-Zigarren paffender Kaschmirkanzler, ist sich eben notfalls auch nicht zu schade, den Volkstribunen herauszukehren.
Dabei hatte Schröder bei seinem Machtantritt den "Aufbau Ost" zur Chefsache erklärt. Geradeso, als ob er seinen Vorgänger im Amt darin überbieten wollte. Aber immer dann, wenn der Kanzler etwas zur Chefsache erklärt, muß man dies unter Umständen als Drohung oder gar Kampfansage werten. Der "Aufbau Ost" liegt dementsprechend auch darnieder. Um eine Sache voranzubringen, bedarf es eben neben des Verstandes auch des Willens und der inneren Überzeugung.

Ulrich Müller