Satire

Indernet

Berlin. Kabinettssaal. Die Regierung sitzt sichtlich entspannt am Kabinettstisch und betrachtet wohlwollend die neuesten Börsenkurse auf n-tv. Beim Kurs der Deutschen Telekom richten sich vorwurfsvolle Blicke auf Finanzminister Eichel, der zum regierungseigenen Handy greift (C-Netz) und darauf wartet, eine Verbindung zum Bundesbroker zu bekommen. Jürgen Trittin, Füße auf dem Tisch, blättert kaum gelangweilt in einem Börsen-Magazin für PolitikerInnen mit zuviel Zeit und zu wenig Ahnung, auf dessen Titelbild ein gepflegter Bundeskanzler mit Cohiba-Zigarre mit Deutsche-Bank-Chef Rolf-E. Breuer zu sehen ist.

Verteidigungsminister Scharping (bedächtig): Sag mal, Gerhard, mußte das schon wieder sein? (schläft wieder ein, ohne die Antwort abzuwarten)

Schröder: In der Tat, ein Skandal: Ich zusammen mit einem Versager auf dem Titelbild. Wer hat das zu verantworten?

Regierungssprecher Heye: Du wolltest ein Portrait mit dem erfolgreichsten deutschen Banker.

Schröder (gallig): Konnte ich denn ahnen, daß die Bankenfusion genauso erfolgreich enden würde wie Jürgens Atompolitik?

Trittin (freudig überrascht): CyberHot +40%! Geil! Hey Leute, ich habe gestern über 300.000 Euro Gewinn gemacht!

Eichel (zückt seinen achtstelligen TI-30-Taschenrechner der ersten Generation): Das macht bei einem Grenzsteuersatz von 53% abzüglich des Freibetrages für Ökostromnutzer bei variabler Kappungsgrenze netto über den Daumen immer noch 160.421 Euro und 43 Cent. In D-Mark wären das ...

Außenminister Fischer: Nur hör doch endlich mit dieser Korinthenkackerei auf. Immerhin bleibt noch genug für eine deftige Parteispende übrig.

Riester: Aber was sagen unsere Wähler dazu? Die vielen kleinen Leute, die -

Trittin: Ist doch egal. Seit Bimbes und Kohl interessiert das keinen mehr. Wir können machen, was uns gefällt -

Im Hintergrund klingelt ein Handy. Kanzleramtsminister Steinmeier nimmt das Gespräch an.

Steinmeier: (nach kurzer Pause) Mäuselchen. (Deckt Sprechmuschel ab, zu den stirnrunzelnden Kolleginnen und Kollegen) Das war mein Kennwort. (Lauscht interessiert weiter) Verkaufen bei 68 ... Kaufen einer Verkaufsoption auf Telekom zu 55 ... Rheinmetall halten. Die Panzerlieferung kriegen wir durch. (Fischer zuckt zusammen) Setzen Sie einen Stop-Loss bei HotAir ... Und verkaufen Sie endlich alle verdammten Bundesobligationen und -anleihen! (Legt auf und sieht sich dem durchbohrenden Blick von Hans Eichel konfrontiert) Guck nicht so gierig! Habe ich länger als ein Jahr gehalten, davon siehst du keine müde Mark Spekulationssteuer.

Schröder: Eines gefällt mir überhaupt nicht.

Mehrere Minister (neugierig): Was? Meinst du unsere drängendsten Fragen? Festgefahrene Steuerreform? Rente vor dem Kollaps? Frauen bei der Bundeswehr? Fallende Nemax-50-Kurse? Schleußer-Air?

Schröder (beleidigt): Viel schlimmer. Ich war in den letzten seit 10 Wochen gerade mal 10 Minuten im Fernsehen - als Randnotiz unter der Rubrik "Auch das geschieht". (Erregt sich) Man könnte meinen, daß der Dicke immer noch regiert. Sogar der Prediger an der Staatsspitze hat zuletzt bessere Sendezeiten gehabt als ich!

Außenminister Fischer: Das muß doch gar nicht schlecht sein, denn als du oft im Fernsehen erschienst, hatten wir nicht solche Umfrageergebnisse.

Schröder: Ich mußte sogar zuletzt dieser wandelnden Hutschachtel zur Wiederwahl gratulieren, um überhaupt 10 Sekunden in der Tagesschau zu erhaschen!

Fischer: Wie mein Freund Wladimir Putin immer sagt: Es kommt nicht darauf an, was man tut, sondern darauf, was über einen gesendet wird.

Schröder: Eben! Ich habe auch einen Krieg geführt und gewonnen! Und was hat's mir gebracht?

Innenminister Schily: Ein volles Boot.

Nach einer kurzen, heftigen Diskussion, ob das Boot nun halb voll oder halb leer ist, ergreift Bundeskanzler Schröder wieder das Wort.

Schröder: Wir müssen einen Knaller auf wirtschaftlicher Ebene landen. Damit die CDU und ihre Unschuld aus dem Osten an der Spitze nicht weiter aufholen.

Wild durcheinander prasseln die Vorschläge.

Schily: Man könnte doch all diejenigen Kollegen, die von ihrem Ressort keine Ahnung haben, durch Fachleute ersetzen.

Fischer: Wie? Willst du noch mehr green cards ausstellen?

Nach minutenlangem Streit unterbricht Steinmeier die Diskussion durch ein lautes "Eureka".

Steinmeier: Internet! Zukunft! Technologie! Jede bessere Frittenbude geht an die Börse! Warum nicht auch wir?

Eichel (geschockt): Mieses Image ... Amateure an der Spitze ... Milliardendefizite jedes Jahr ... wer soll unsere Aktien kaufen? (Verärgert) Jürgen, nimm endlich die Füße vom Tisch. Der ist noch nicht mal bezahlt!

Schröder: Das ist es ja gerade! Praktisch alle Unternehmen, die sich im Neuen Markt tummeln, haben noch keine müde Mark Gewinn gemacht. Und trotzdem reißen ihnen die Leute die Aktien aus den Händen. Hauptsache, es hat irgend etwas mit Technologie oder Internet zu tun.

Wirtschaftsminister Müller (fängt Feuer): Genau! Der Staat, das sind doch die Bürger. Warum soll er ihnen nicht gehören? Verluste machen wir genug. Und wo steht es geschrieben, daß der Staat sich nur mit langweiligen Anleihen finanzieren soll?

Justizministerin Herta Däubler-Gmelin: Ist das denn legal?

Steinmeier: Allerdings sollten wir dem Staat einen neuen Namen verpassen lassen. "Bundesrepublik Deutschland" ...

Alle (im Chor) Igitt, wie altmodisch!

Schröder (vom Erneuerungswillen seiner Minister überrumpelt): An was dachtet ihr?

Alle: G-Online ... Germanion ... Deuventis ... Deuag ... DeuCo ... Gersil ...

Schily: Wie wär's schlicht und einfach mit "Kraut"? International bekannt, jeder weiß, was gemeint ist, und es ist für alle Shareholder einfach auszusprechen.

Schröder: In Ordnung. Aber zur Klarstellung würde ich kraut.com (gesprochen: krautdottkomm) vorschlagen. (Allgemeine Zustimmung) Jetzt müssen wir den potentiellen Aktionären - also 80 Millionen Bundesbürgern - nur noch klarmachen, daß wir
1. irgendwas mit Internet zu tun haben;
2. eine hochkompetente Führungsspitze zur Verfügung haben;
3. daß wir so verwerfliche Dinge wie Gewinne nicht in absehbarer Zeit zu erwarten haben (wirft einen dankbaren Blick auf Eichel)
4. daß wir auf einen hochspezialisierten Expertenpool jederzeit Zugriff haben.

Scharping: Laannnng ... saaammmmm. Gehen wir mal alles Schritt für Schritt durch.

Fischer: O heiliger Pflasterstein.

Wochen später. Nachdem die Bundesregierung alle Vorbereitungen nahezu abgeschlossen hat, präsentiert sie der staunenden Weltöffentlichkeit den ersten Börsengang eines Staates.

Schröder (strahlt): Und hier, wo früher Erich Honecker residierte, präsentiere ich Ihnen nun die Konzernzentrale kraut.com AG.

Im Hintergrund einige eilig angebrachte 14-Zoll-Monitore vor altersschwachen Robotron-Rechenmaschinen aus alten NVA-Militärbeständen, an denen einige greencardwedelnde Inder sitzen.

Ein Inder: Sorry, Mr Schroder, but your computers are a big desaster. I tried to debug this f- system, but the only answer I got was

Schröder schiebt peinlich berührt die eifrig mitschreibende Journalistenmeute eilig in den nächsten Raum.

Schröder: Das ist der order room für die Annahme der Zeichnungswünsche.

50 Telefonistinnen - die versprochenen Arbeitsplätze aus der Green Card-Initiative - sitzen, ihre Fingernägel lackierend, vor ebensovielen altmodischen Wählscheiben-Telefonen und beobachten interessiert die Spinnen beim Weben ihrer Netze.

Journalist (sarkastisch): Aber elektrischen Strom haben Sie schon?

Eines der stummen Telefone erwacht zum Leben.

Telefonistin Bratbecker: krautdotkomm AG, Zeichnungswünsche, Bratbecker, Platz 26, Sie wünschen? (Erbleicht) Gerhard, das verrückte Huhn ist wieder da!

Schröder: Verdammte Spaßvögel!

Wochen später. Der Börsengang der kraut.com AG riß in einem nie dagewesenen Strudel 80 Millionen Shareholder in den Abgrund. Das Desaster, was als roter oder rot-grüner Freitag in die Börsengeschichte einging, wurde vor allem auf zu geringe Verluste und zu wenige Fachleute an der Spitze zurückgeführt. Die Konkursmasse wurde von der darauf spezialisierten Kanzlei Stoiber, Merkel, Merz, Rühe und Co für den symbolischen Preis von einem Bimbes aufgekauft. Die green card-Initiative hingegen wurde ein voller Erfolg, wenn auch nicht bei Computerspezialisten, sondern bei Fußballspielern für die Nationalmannschaft.

G.D. / C.M. / K.R. / MiWi