Editorial

Oh ... Angie!

Alle sahen es kommen, niemand rechnete damit: Sie ist da

Alle wundern sich, die Journalisten reiben sich die Augen, die CDU ist erschrocken über ihren eigenen Mut, und die Kabarettisten, Karikaturisten und Stimmenimitatoren üben bereits eifrig.
Der wichtigste politische Job außerhalb der Regierung ist vergeben worden ausgerechnet an eine Frau, eine für die Verhältnisse deutscher Politik sogar junge Frau (45 Jahre), die auch noch aus einem neuen Bundesland stammt, Protestantin ist (kein Vorteil in einer vorwiegend katholischen Partei) und gerade einmal lächerliche 11 Jahre Politik-Erfahrung auf dem Buckel hat.
Nicht nur das: Angela Merkel hat keine Hausmacht wie etwa die Bundestagsfraktion oder einen mitgliederstarken Landesverband hinter sich. Auch wird ihre einzige offizielle politische Funktion nur ihre Tätigkeit als Bundestagsabgeordnete sein (Wahlkreis 267: Stralsund - Rügen - Grimmen, direkt geholt mit 37,3%).
Andererseits sind ihre potentiellen Konkurrenten entweder über ihr zu hohes Alter (Biedenkopf, Vogel) oder über ihre eigene taktische Ungeschicklichkeit (Rühe, Rüttgers) gestolpert. Koch in Hessen hat andere Sorgen, Peter Müller kämpft um die Anerkennung des Saarlandes als Flächenstaat, und Erwin Teufel hat genug damit zu tun, die Versuche von Frau Schavan, Oettinger und Palmer, ihn zu stürzen, abzuwehren.
Und Friedrich Merz? Der neue Fraktionschef muß sich erst mal Respekt verschaffen - was ihm wohl gelingen wird -, bevor er Höheres anstrebt. Dann allerdings ...
Jedenfalls ist nach dieser reihenweisen Kandidaten-Implosion nur noch Angie da. Die letzten Zweifel, nicht zuletzt bei ihr selbst, dürfte der heftige Zuspruch für sie auf den "Regionalkonferenzen" weggefegt haben.
Nun ist die Lady aus dem Nordosten nicht so unbeleckt, wie es in letzter Zeit immer dargestellt wird. Immerhin war sie sieben Jahre Ministerin (von 1991 bis 1994 für Familie, Frauen und Jugend und von 1994-1998 für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit) und hat dort, wie es ihre Art ist, vernünftig-unspektakulär gewirkt.
Diese nüchterne, ruhige Art hat ihr viele Sympathien gewonnen, auch weil Politiker mit solchen Eigenschaften selten sind.
Nach der verlorenen Bundestagswahl wurde sie von Wolfgang Schäuble zu seiner Generalsekretärin gemacht. Damals sagte er zur Begründung vor den Delegierten, er habe sie nicht genommen, weil sie eine Frau oder aus dem Osten sei, sondern "weil sie einfach gut ist". Es ist in der Tat fraglich, ob Merkels Amtsvorgänger Hintze oder Rühe ähnlich entschieden in der Spendenaffäre vorgegangen wären.
Ihr berühmter Artikel in der FAZ vom 22.12.1999, in dem sie die CDU aufforderte, sich von Kohl "abzunabeln", ohne ihn und seine Leistungen zu verleugnen, war damals mutig. Einige CDU-Größen wurden erst Monate später so deutlich, als es risikolos war.
In der Spendenaffäre hat Angela Merkel nicht nur bewiesen, daß sie die richtigen Worte zur richtigen Zeit sagen kann, sondern auch großes taktisches Geschick. Ihre unterlegenen Konkurrenten, die sicher noch Ärger machen werden, sollten sie nicht noch einmal unterschätzen.
Allerdings sind die Sorgen der CSU, die CDU unter Merkel werde zu liberal, könne die gesamte Bandbreite der Unionswähler nicht mehr widerspiegeln, durchaus berechtigt. Ob es die Union nun gern hört oder nicht: Ein nicht zu verachtender Teil ihrer Wähler ist konservativ, lehnt etwa die staatliche Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschaften oder die Abtreibung ab und sucht beim Hören der Namen Geißler oder Süßmuth das Weite. Diese konservativen Wähler brauchen Identifikationsfiguren in der Partei. Ob mittelfristig Friedrich Merz oder Roland Koch das leisten, bleibt abzuwarten.