Satire

Eine Frage der Ehre

Jagdszenen am Kaffeetisch

Sonntagnachmittag. Typisch deutsche Großfamilie inszeniert typisch deutschen Kaffeenachmittag. Angetreten sind Vater (49, kurz vor dem 50. Geburtstag, Reserveoffizier), Mutter (Hausfrau), Sohn (21, grüne Haare, Student der Sozialpädagogik) und Tochter (18 Jahre, kurz vor dem Abi, inzwischen wieder solo). Des weiteren komplettieren Oma und Opa (beide Mitte 70) sowie der Hund (Alter und Rasse undefinierbar) die Runde.

Mutter (strahlend Kuchen verteilend): Greift doch noch zu, es ist genug da! Was man doch mit 50 Mark mehr Haushaltsgeld alles anfangen kann! (mißbilligend zu Vater) Leg doch endlich den Ordner mit den Rechnungen beiseite und iß mit!

Vater: 50 Mark mehr? Woher?

Mutter: Aber die Regierung hat doch die Steuern gesenkt! (Schwenkt triumphierend "Das goldene Blatt" mit der aktuellen Steuertabelle, daneben Photos von Prinz Ernst August von Hannover, der lustvoll eine erbeutete Kamera schwenkt, und Casimir Prinz Wittgenstein, der lustvoll mit Kontoauszügen wedelt).

Vater (entsetzt): 50 Mark mehr? Und die gestiegenen Kosten für Heizöl und Lebensmittel und den Reitverein (funkelt erbost Tochter an) und für Benzin und die Tageszeitung ...

Sohn (hämisch): ... und für die Reservistentreffen deiner Mördertruppe - aaah! (hält sich nach Luft japsend die Seite)

Tochter (energisch): Dieses wehrkreftzersetzende Gerede werde ich in diesem Haus nicht mehr dulden! Ansonsten setzt es wieder was!

Opa: Es ist doch erfrischend zu sehen, daß das junge Volk sich den Sinn für die Wehrmacht -

Vater: Vater, das heißt jetzt Bundeswehr!

Sohn (stöhnend zu Tochter): Sa ma, Alte, biste heute vom Mofa geflogen? Seit du deinen Macker los bist, bist du echt ätzend geworden!

Tochter: Ich habe einen neuen Berufswunsch.

Vater: Ach? Ist Tierarzt nicht mehr aktuell?

Mutter: Das ist doch längst passé. Seit zwei Wochen will sie doch Ethnologin in Westafrika werden.

Tochter: Das ist langweilig, außerdem viel zu gefährlich, wie man ja in den letzten Tagen sehen konnte. Ich will etwas sichereres machen: Soldatin in einer Kampfeinheit der Bundeswehr.

Vater (verschüttet Kaffee über die um 35% gestiegene Heizölrechnung) Wie bitte???

Oma: Wo will sie hin?

Opa (ernüchtert): Kosovo.

Oma: Ach, sind die mit dem Tourismus wieder so weit? Da sind doch unsere Jungs.

Mutter: Nein, Mutter. Nicht als Touristin. Nicht zu den Soldaten. Als Soldat!

Sohn: Als Staatsterroristin in Uniform. Aber man weiß ja, daß Terroristenweiber dreimal schlimmer sind als Männer.

Vater (Kopf pulsiert purpur, brüllt): Jetzt hört aber auf, ihr zwei! (zur Tochter) Meinst du das im Ernst?

Tochter: Ja! Dieser Beruf interessiert mich! Frauen können mehr als nur Trompete spielen und Verbände wechseln. Außerdem hat mich die Arbeit der Bundeswehrsoldaten im Kosovo überzeugt.

Opa (zynisch): Ja, und 90 Kilo schwere, blutende Kameraden aus dem Schützengraben ziehen, denen ein Bauchschuß die Eingeweide herausgerissen hat, im Nahkampf Mann gegen Mann, äh, Frau stehen, in den U-Booten wochenlang unter Wasser und nur ein Klo -

Sohn (begeistert): Es lebe der Europäische Gerichtshof! Wolfgang Petersen muß "Das Boot" neu drehen, in der Rolle des "Alten" statt Jürgen Prochnow nun Inge Meysel!

Opa: Immerhin würden die Frauen die Boote etwas wohnlicher machen: Gehäkelte Kompaßschoner und Duftsteine auf dem WC ...

Vater: ... und geblümte Vorhänge vor dem Periskop! (Brüllendes Gelächter aller anwesenden Männer, versteinerte Miene aller anwesenden Frauen)

Tochter: Und ich werde es doch! (verläßt fluchtartig den Raum)

Vater (wischt sich mit einer Rechnung eine Lachträne aus dem Gesicht, ruft ihr hinterher): Spaß beiseite, das kommt überhaupt nicht in Frage! (mustert mißtrauisch das Blatt) Oh. (zu Mutter) Da hast du deine 50 Mark mehr im Monat! (knallt seiner Frau die kaffeebenetzte Heizölrechnung auf den Tisch) Schau, wo Oskar angefangen hat, macht Hans Eichel weiter!

Oma: Genau! Gerhard, dieser Bandit! Auch bei unserer Rente hat er gnadenlos zugeschlagen.

Sohn: Apropos Bandit: Die Mafia sieht gegen Don Kohlione aus wie ... wie ... wie ein bewaffneter Weiberverein!

Tochter (keifend aus dem Nebenzimmer): Das hab ich gehört, du alter Chauvi!

Vater: Aber Kohl hat es doch nur für die Partei getan. Er ist und bleibt ein Ehrenmann. Aber davon verstehst du ja nichts.

Sohn: Ja, ich weiß. An dem ganzen Schlamassel deiner geliebten Partei sind nur die bösen Medien schuld, John F. Kennedy ist an Altersschwäche gestorben, Richard Nixon war ein gesetzestreuer Bürger, höchstens etwas neugierig, was Hotelinnenausstattungen anging, und die Rente ist sicher.

Vater (läuft wieder stark rot an): Solange du deine ungewaschenen Füße auf meinen Tisch legst, verbiete ich dir, so über den Vater der deutschen Einheit -

Sohn ... und Innovationskünstler, was das Deklarieren von Spenden angeht. Gibt's eigentlich irgendeinen in dieser Partei, den er nicht geschmiert hat?

Vater (verbittert): Ja, mich. Sonst brauchte ich mir keine Sorgen um diese verdammten Heizölrechnungen zu machen!

Mutter (zu Sohn): Mußt du eigentlich alles in den Dreck ziehen, was deinem Vater lieb und teuer ist?

Opa: Und in Düsseldorf ist es ja auch nicht viel besser. Der Finanzminister und Bruder Johannes sind jahrelang auf Kosten der WestLB und des Steuerzahlers durch die Lüfte gegondelt. Oder sie haben ihre Yachten in Kroatien besucht.

Tochter (ins Zimmer kommend): Wäre das nicht eine Möglichkeit, für Vaters 50. Geburtstag? Beim Herrn Rau hat die Bank ja auch die Kosten für die Feier des 65. übernommen. Bei Glogowski wurde die Hochzeitsfeier gesponsert.

Oma: Die Sozen verdienen wohl zuwenig.

Sohn: Das sind doch alles Peanuts -

Vater (tut betroffen) Also das finde ich sehr unsensibel, wie du hier mit solchen Summen jonglierst -

Sohn: - , im Vergleich zu Don Kohlione sind Rau & Co. doch nur Taschendiebe.

Opa: Früher war das alles ganz anders. Das konnte man sich noch auf die Politiker verlassen. Heute ist man verlassen. Die Politiker stecken doch alle unter einer Decke, und Kohl ist doch nur die Spitze des Eisbergs -

Sohn: Kohl als Spitze?

Opa (fährt unbeirrt fort): -, und die einen werden erwischt, die anderen nicht.

Oma: Hoffentlich wirst du nicht erwischt mit deinem Luxemburger Schwarzkonto.

Opa (wütend): Nicht hier vor den Kindern! Und außerdem ist das etwas ganz anderes, wenn ich unser bereits versteuertes Geld vor dem raffgierigen Zugriff der Politiker in Sicherheit bringe. - Die Politiker haben sich den Staat unter den Nagel gerissen. Die Stimmbürger werden immer mehr zum Stimmvieh degradiert. Die Parteien verkommen zu Wahlkampfmaschinen. Von Perspektiven keine Spur. - Die Spendensammler, Vielflieger und Yachtbesitzer liegen dem Steuerzahler auf der Tasche, bekommen sogar hohe Renten. Früher hätte man solche Affären ganz anders gelöst.

Vater: Und wie?

Opa: Man hätte dem Betreffenden eine mit nur einem Schuß geladene Waffe gereicht.

Sohn: Im Falle Kohl wäre vielleicht ein Jagdgewehr nötig.

G.D. / K.R. / MiWi