Editorial

"Rückhaltlose Aufklärung"

Mutiert die CDU durch das "System Kohl" zur "Bimbes-Partei"?

Die Finanzaffäre der CDU um Helmut Kohl mit seinem zur Zeit unüberschaubaren System schwarzer Kassen und Barspenden ist zur Zeit geschmackloser Höhepunkt diverser Politskandale. Zusammen mit "kleineren" Affären rund um Bodo Hombach, Johannes Rau und NRW-Finanzminister Schleußer wird nunmehr seit Monaten das Vertrauen des Bürgers und sogar des Parteimitgliedes in die Politik und insbesondere der etablierten Parteien erschüttert.
Immer mehr kommt der Eindruck auf, dass der Politiker an sich nur noch in die eigene Tasche wirtschaftet bzw. äußerst anfällig für Bestechung geworden ist. So auch der Verdacht gegen Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl.


Ein Verdacht wird Wahrheit

Was war geschehen? Nach Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung gegen den ehemaligen CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep wurde bekannt, daß dieser eine Barspende von einer Million DM des Waffenhändlers und Lobbyisten Schreiber aus Kanada an den CDU-Finanzberater Weyrauch übergeben hatte. Diese Million tauchte in keinem Rechenschaftsbericht der CDU als Spende auf.
In diesem Zusammenhang flog ein System geheimer Konten auf, die unter der Verantwortung von Ex-Parteichef und Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl eingerichtet worden waren, von denen Kohl nach eigenem Ermessen Gelder innerhalb der Partei verteilen konnte. Doch dieser stritt dies empört im Bundestag ab.
Aber schon wenige Tage später war klar: der Ehrenvorsitzende der CDU hatte lange Jahre wirklich etliche Millionen an den zuständigen Parteigremien vorbei kontrolliert. Natürlich nur im besten Sinne der Partei.
Und genau hier liegt das Problem. Das Parteiengesetz schreibt vor, dass jeder Spender, der einen Betrag von mehr als 20.000 DM an eine Partei überweist, namentlich im Rechenschaftsbericht der Partei auftauchen muss. Nach den Vorfällen in der Flick-Affäre in den 80er Jahren, in denen ein Konzern versucht hatte, politischen Einfluss durch Spenden auf Parteien zu nehmen, sollten derartige Machenschaften durch öffentliche Nennung der Spender verhindert werden. Des weiteren soll niemand ohne Kontrolle irgend welche Gelder innerhalb der Parteien hin- und herschieben dürfen. Auch ein Vorsitzender nicht!


Aus "Flick" nichts gelernt

Helmut Kohl tat dies trotzdem, wie er selbst zugab, und dürfte damit die Partei in die finanzielle Wüste manövriert haben. Das Parteiengesetz schreibt als Strafe für Zuwiderhandlungen teilweise drakonische Strafen vor. So kann die Partei u.a. auch rückwirkend jedwede staatliche Förderung für den Zeitraum verlieren, in dem der Rechenschaftsbericht unvollständig bzw. falsch war. Da addieren sich bei der CDU in den letzten 15 Jahren etliche hundert Millionen Mark zusammen. Eine Rückforderung durch Bundestagspräsident Thierse würde die Partei an den Bettelstab bringen.
Im Zuge weiterer Ermittlungen kristallisierte sich heraus, dass der windige Herr Schreiber nicht der einzige Spender war, woraus sich eine weitere unappetitliche Frage ergibt. War der Bundeskanzler Helmut Kohl bestechlich? Wurden mit dem Geld wohlwollende Entscheidungen der Regierung Kohl gekauft? Ein schlimmer Verdacht, zumal Waffenhändler Schreiber offen damit prahlt, dass zumindest seine Spende für positve Entscheidungen über eine Panzerfabrik gedacht war.
Und schnell wurde auch ein Zusammenhang zum Verkauf der ostdeutschen Leuna-Werke samt der lukrativen Minol-Kette an den Ölkonzern Elf gefunden. Die Unterlagen aus dem Kanzleramt sind seltsamerweise verschwunden.


Ehrenwort über Verfassung?

In den folgenden Wochen und Monaten gab es geradezu ein Wettrennen über weitere Enthüllungen des "Systems Kohl". Schnell war klar, dass das Geld, vorbei an den offiziellen Kassen, diversen Landes- und Kreisverbänden der Partei zugute kam, womit wohl die teilweise seltsame Loyalität Einzelner gegenüber Kohl erklärbar wird.
Der einzige, der sich nicht an Aufklärung und Spekulationen beteiligte, war Helmut Kohl selbst. In altbewährter, arroganter Art und Weise gibt er zwar die ganzen Vorfälle zu, spielt diese als "Fehler" herunter und ist sich ansonsten keiner Schuld bewusst. Kein Wort über die geheimnisvollen Spender. Schließlich habe er sein Ehrenwort gegeben, diese nicht zu nennen. Dass er damit die Verfassung mit Füßen tritt (Artikel 21), auf die er immerhin mehrmals seinen Amtseid als Kanzler geleistet hat, scheint er zu vergessen.


Es brennt in der Partei

Während Herr Kohl sich in Selbstgerechtigkeit suhlt, geht es im Rest der Parteispitze hoch her. Schließlich müssen nun andere die Suppe auslöffeln, die der letzte Vorsitzende hinterlassen hat - und dabei können alle nur verlieren. Entweder müssen Schäuble, Merkel und alle anderen zugeben, von diesen illegalen Geldtransfers gewusst zu haben, oder man gesteht ein, dumm daneben gestanden und nichts gemerkt zu haben. Wahrlich keine schöne Wahlmöglichkeit. Wolfgang Schäuble dagegen demontierte sich leider selbst, indem er nach "rückhaltloser Aufklärung" (heißester Kandidat für das Unwort des Jahres 2000) verlangte und später zugeben musste, selbst Spenden angenommen zu haben. Kurz gesagt - es brennt in der Partei.


Pure Heuchelei

Die Nebenaffäre um den ehemaligen hessischen Vorsitzenden und Ex-Innenminster Kanther waren da nur noch das Tüpfelchen auf dem i. Nun kam auch noch organisierte Geldwäsche dazu. Als Mitglied des Innenausschusses des Bundestages ereiferte sich der "Law & Order-Mann noch jüngst dafür, warum eine Gesetze gegen Geldwäsche so wichtig sei. Pure Heuchelei. Doch Manfred Kanther bewies, dass er von Helmut Kohl gelernt hat. Nur das eingestehen, was ohnehin schon bekannt ist, nichts bedauern, "die volle Verantwortung" für alles übernehmen, beleidigt wegen ungerechtfertigter Treibjagd der Medien zurücktreten und die fette Regierungspension genießen. Woher diese diversen Millionen kommen bleibt abzuwarten. Nicht auszuschließen, dass es sich noch um Flick-Geld handelt.
Und da sind wir beim Kernpunkt - der politischen Moral. Unzweifelhaft war die Politik schon von je her ein schmutziges Geschäft, nur dass es heute durch den Enthüllungsjournalismus schneller ans Licht gezerrt wird.
Richtig schmutzig wird es aber erst dann, wenn Politiker, egal welcher Partei, zu lange eine Machtposition inne haben. So haben sie jede Menge Zeit sich ihr eigenes, persönliches Machtnetzwerk aufzubauen. Irgendwann glauben sie auch noch im Recht zu sein, wenn sie hemmungslos fiskalische Mittel für ihre eigenen Interessen einsetzen. Sie glauben über dem Recht zu stehen.


Alles zum Wohle der Partei?

So auch im "System Kohl". Helmut Kohl scheint keinen Zweifel daran zu haben, alles zum Wohle der Partei getan zu haben. Doch ist das wahr? Mal ganz davon abgesehen, was die Enthüllungen nun für finanzielle Folgen für die CDU haben werden, ging das Geld wahrscheinlich an Kohltreue Einrichtungen und Verbände der Partei. Wie ein feudaler Fürst schanzte der Vorsitzende seinen Getreuen Gelder zu und verlangte dafür Loyalität. Und es funktionierte und funktioniert immer noch, wie wir alle an den jüngsten Auseinandersetzungen an der Parteispitze sehen.
Ganz bestimmt nicht zum Wohle der Partei ist das anhaltende Schweigen des (nun ehemaligen) Ehrenvorsitzenden der Partei. Ohne Spender keine Aufklärung. Ohne Aufklärung keine berichtigten Rechenschaftsberichte und keine Ausräumung, dass die CDU und die alte Regierung käuflich waren. Damit treibt Herr Kohl die angeschlagene Partei, die er angeblich so liebt, immer weiter in den Untergang.


Neuer Platz in der Geschichte

Schon jetzt droht ein finanzielles Desaster, und die Wahlen in Schleswig Holstein und Nordrhein Westfalen dürften, vorsichtig ausgedrückt schwierig zu gewinnen sein - von einer Spaltung der Partei in getreue "Kohlianer" und ketzerische "Schäubleisten" wollen wir lieber gar nicht erst reden. Auch in Hessen wird noch jede Menge Schockierendes ans Licht kommen.
Den einzigen, den das kaum kratzt ist, Herr Kohl. Warum auch. Die leere Floskel "Volle Verantwortung" dürfte für ihn keine Folgen haben. Bluten muss laut Parteiengesetz die Partei und nicht der Verantwortliche Politiker. Helmut Kohls Platz in der Geschichte wird leider einige bemerkenswerte Zusätze bekommen. Vom Kanzler der Einheit, dem Architekten des vereinten Hauses Europa, zum Empfänger illegaler Spenden und Abstieg zum "Bimbes"-Kanzler.
Armer Kanzler der Einheit, arme CDU.....

MiWi