Bayer-Pressekonferenz zum Lipobay-Rückzug


Archivmeldung aus dem Jahr 2001
Veröffentlicht: 13.08.2001 // Quelle: Bayer

Aus den Ausführungen von Dr. Manfred Schneider
Aus den Ausführungen von Dr. David Ebsworth


Aus den Ausführungen von Dr. Manfred Schneider

Vorsitzender des Vorstands der Bayer AG
Meine sehr verehrten Damen, meine Herren,

ich danke Ihnen, dass Sie unserer Einladung zu dieser Pressekonferenz gefolgt sind.

Leider ist der Anlass nicht erfreulich; doch ich denke, die Öffentlichkeit hat auch dann einen Anspruch, von uns umfassend informiert zu werden, wenn wir keine neuen Rekorde oder andere gute Nachrichten haben, sondern über Probleme und negative Ereignisse berichten müssen.

Die Rücknahme unseres Cholesterinsenkers Lipobay/Baycol, die wir am vergangenen Mittwoch bekannt gegeben haben, ist ohne Zweifel ein außerordentlich schwerwiegendes, negatives Ereignis.

Die wirtschaftlichen Folgen für unser Unternehmen sind weitreichend. Im Interesse der Sicherheit und der Gesundheit der Patienten gab es zu der Entscheidung, das Präparat vom Markt zu nehmen, für uns jedoch keine Alternative. Herr Dr. Ebsworth wird dazu gleich noch nähere Einzelheiten erläutern.

Zuvor will ich noch einige grundsätzliche Anmerkungen machen. Zunächst einmal möchte ich betonen, dass für uns der schnelle Rückzug des Präparates oberste Priorität hatte, gerade weil wir unserer Verantwortung gegenüber den betroffenen Patienten gerecht werden müssen.

Wenn der Einsatz unserer Medikamente zu gesundheitlichen Schäden geführt haben sollte, dann bedauern wir das ganz außerordentlich. Wir tun alles, um solche Risiken auszuschließen.

Unser Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen all jener Menschen, deren Tod möglicherweise mit der Einnahme unserer Medikamente in Verbindung stehen soll. Wobei ich auch an dieser Stelle noch einmal betonen muß, dass es dafür derzeit keine Beweise gibt.

Sicherheit und Gesundheit von Patienten, die unseren Medikamenten vertrauen und darauf angewiesen sind, haben für uns Vorrang vor allen anderen Interessen. Deshalb war der schnelle und freiwillige Vermarktungsstopp für uns eine beschlossene Sache, als klar wurde, dass wir bestimmte Risiken nicht ausschließen können.

Ich möchte auch noch ein paar Sätze zu unserer Informationspolitik sagen, die hier und da kritisiert worden ist. Für die Art und Weise, wie wir unsere Entscheidung veröffentlichen und die Betroffenen informieren, gibt es eindeutige Vorschriften.

Das betrifft zunächst einmal die Information der Ärzte und Apotheker, aber auch die Information der Anleger und des Kapitalmarktes. Dazu gehört, dass wir alle Nachrichten, die den Börsenkurs der Bayer-Aktien wesentlich beeinflussen können, zunächst in einer Ad-hoc-Mitteilung veröffentlichen müssen, die allen Investoren gleichzeitig zur Verfügung steht. Das ist gesetzlich so vorgeschrieben.

Zum gleichen Zeitpunkt haben wir mit einer Presse-Information auch die Weltöffentlichkeit informiert.

Es war uns untersagt, einzelne Zielgruppen – zum Beispiel Ärzte oder Apotheker – vorher in Kenntnis zu setzen, also zu sogenannten "Insidern" zu machen.

Diese Vorgehensweise hat überhaupt nichts damit zu tun, dass für uns die wirtschaftlichen Interessen der Anleger oder die Medien wichtiger sind als die Information der Ärzte und Patienten. Das ist nicht der Fall, und wir haben selbstverständlich auch die Ärzte und Apotheker so schnell wie möglich informiert.

Die Information war zeitgleich mit der Bekanntgabe auch im Internet und damit für alle Interessenten weltweit verfügbar. Bereits zwei Stunden nach der Ankündigung haben Herr Wenning und Herr Dr. Ebsworth in zwei internationalen Telefon-Konferenzen den Analysten sowie den Medien Rede und Antwort gestanden und weitere Detail- und Hintergrundinformationen gegeben.

Beide Konferenzen wurden zudem aufgezeichnet und konnten bis zum vergangenen Wochenende per Telefon von jedem Interessenten abgehört werden. Auch dies sollte einer schnellen Verbreitung der wichtigsten Informationen dienen.

Ich kann die betroffenen Ärzte und Apotheker hier nur nochmals um Verständnis dafür bitten, dass wir auch an die Vorschriften über die Veröffentlichung von wichtigen Finanznachrichten gebunden sind und deshalb als erstes die Ad-hoc-Meldung publizieren mussten.

Wir hoffen, dass dies nicht zu einer Beeinträchtigung unseres traditionell sehr guten Verhältnisses führt, und werden alles tun, um entstandene Probleme zu beheben und das Vertrauensverhältnis zwischen Bayer, der Ärzteschaft und den Apothekern zu festigen.

Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund dieses schwerwiegenden Vorfalls und seiner wirtschaftlichen Auswirkungen stellt sich die Frage, wie es mit unserem Pharmageschäft weitergeht und welche Konsequenzen sich daraus für unsere Strategie sowie die künftige Entwicklung des gesamten Konzerns ergeben.

Ich denke, Sie haben Verständnis dafür, dass wir Ihnen heute – erst wenige Tage nach der Entscheidung – keine fertigen, neuen Konzepte vorlegen können. Natürlich gibt es bereits erste Überlegungen, doch die sind heute noch nicht verkündungsreif.

Wir werden jetzt die Analyse der Ereignisse und ihrer Auswirkungen abschließen und dann die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen.

Leider hat uns dieser Rückzug in einer ohnehin schon schwierigen wirtschaftlichen Situation getroffen.

Hinzu kommt, dass wir im Pharma-Bereich mit den technischen Problemen bei der Produktion unseres Blutgerinnungsmittels Kogenate bereits Schwierigkeiten mit beträchtlichen Auswirkungen zu verkraften hatten. Von den konjunkturbedingten Ergebniseinbußen in unserem Polymergeschäft gar nicht zu reden.

Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, möchte ich doch darauf hinweisen, dass Bayer nicht wankt. Auch die außerordentlich unglückliche Häufung von Problemen – seien es hausgemachte oder durch äußere Einflüsse verursachte – ist keine existenzielle Gefahr für Bayer.

Wir werden im Umsatz trotz der Ausfälle von Lipobay zulegen. Beim Ergebnis indes werden wir unsere Erwartungen weit unterschreiten. Unsere letzte Zielsetzung von rund 3 Milliarden Euro reduziert sich nach ersten Schätzungen allein durch den Lipobay-Rückzug um 600 bis 650 Millionen. Da wir bis zum Ende des Jahres keine konjunkturelle Verbesserung erwarten, dürfte unser operatives Ergebnis auch durch die wirtschaftliche Situation weiter belastet werden.

Dennoch, meine Damen und Herren: Bayer ist kein Sanierungsfall – um das ganz klar zu sagen. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass wir so breit diversifiziert sind und in unserer Strategie nicht nur auf Pharma setzen.

Jetzt zeigt sich die Stärke der vier Säulen-Strategie, auch wenn zur Zeit nur zwei Säulen, nämlich Landwirtschaft und Chemie, eine insgesamt stabile Ergebnistendenz aufweisen.

Allerdings kann sich auch unser Polymergeschäft angesichts des schlechten konjunkturellen Umfelds mit einer Umsatz-Rendite von 8 Prozent im Wettbewerbsumfeld durchaus noch sehen lassen.

Bereits vor der Lipobay-Krise hatten wir umfangreiche Restrukturierungs- und Kostensenkungsprogramme eingeleitet, mit denen wir bis zum Jahr 2005 Einsparungen in der Größenordnung von 1,5 Milliarden Euro jährlich erreichen werden.

Für jeden vorgesehenen Schritt gibt es eine klare Verantwortung; deshalb sind wir sicher, dass wir diese Einsparpotenziale auch realisieren werden.

Im Zusammenhang mit diesen Programmen zur Verbesserung der Rendite ist aus heutiger Sicht bis zum Jahr 2005 ein Abbau von insgesamt 5.000 Stellen geplant. Da Teile dieser Maßnahmen bereits umgesetzt sind, werden wir im Rahmen dieser Programme und zusätzlicher Projekte davon noch etwa 4.000 Arbeitsplätze abbauen müssen.

Wir werden selbstverständlich versuchen, alle erforderlichen Schritte wie bisher sozialverträglich abzuwickeln. Bei all diesen Überlegungen sind die wirtschaftlichen Auswirkungen des Lipobay/Baycol-Rückrufs für den Konzern noch nicht berücksichtigt. Es ist klar, dass auch hier noch etwas getan werden muss. Vor dem Abschluss der Analyse können wir Ihnen dazu jedoch keine Fakten nennen.

Und um es ganz unmissverständlich zu sagen: Auch das Management muss mit erheblichen finanziellen Einbußen rechnen, so wie es unserem Verständnis von Verantwortung entspricht.

Ganz unabhängig von den kurz- und mittelfristigen Effekten müssen wir uns selbstverständlich auch mit den strategischen Auswirkungen beschäftigen.

Das Medikament Lipobay/Baycol war schließlich ein wesentliches Element unserer Pharmastrategie, die wiederum einen Grundstein der Konzernstrategie bildet.

Die Kogenate-Probleme werden Anfang nächsten Jahres gelöst sein. Das Präparat selbst steht nicht in Frage.

Den Ausfall von Lipobay werden wir allerdings nicht so ohne weiteres verkraften können. Wir werden im Falle Lipobay/Baycol das weitere Vorgehen mit den Behörden abstimmen. Doch es ist noch nicht abzusehen, ob der Wirkstoff wieder vermarktet werden kann.

In unserer Produkt-Pipeline befinden sich mit Vardenafil gegen erektile Dysfunktion, das 2002 auf den Markt kommen soll, sowie einem neuen Antibiotikum und zwei Krebsmedikamenten, die innerhalb von zwei bis drei Jahren ausgeboten werden sollen, durchaus vielversprechende Produkte. Doch den Ausfall können sie nicht kompensieren.

Für die mittelfristige Entwicklung sind wir optimistisch: Wir haben 42 Produkte in der Pipeline, davon sind 18 in der klinischen Prüfung. Die Produktivität unserer Pharma-Forschung haben wir in den vergangenen drei Jahren verdoppelt.

Dennoch werden wir unsere Pharmastrategie grundlegend überprüfen. Damit werden wir jetzt umgehend beginnen. Ob und gegebenenfalls welche Auswirkungen das auf unsere Vier-Säulen-Strategie hat, insbesondere auf den Stellenwert der Pharma- bzw. Gesundheits-Säule in diesem Portfolio, bleibt abzuwarten. Schließlich gehören zum Arbeitsgebiet Gesundheit neben dem Pharmabereich noch das sehr solide Consumer-Care-Geschäft und der Bereich Diagnostika, der sich in einer positiven Turn-around-Situation befindet.

Wie aber bereits mitgeteilt, müssen wir uns von dem Ziel verabschieden, im nächsten Jahr eine Umsatzrendite von 20 Prozent in diesem Arbeitsgebiet zu erzielen.

Welche Strategie wir jetzt einschlagen, welche neuen Ziele wir uns setzen, wann und mit welchem Portfolio wir sie erreichen, ob aus eigener Kraft oder in Partnerschaften, das werden wir jetzt untersuchen und so rasch wie möglich beantworten.

Unser hoch profitables Landwirtschaftsgeschäft bleibt auf jeden Fall eine tragende Säule unseres Portfolios. An der Übernahme der Aventis CropScience halten wir selbstverständlich fest. Dieses Vorhaben ist in sich wirtschaftlich und wird die Ertragslage des gesamten Konzerns bereits kurzfristig positiv beeinflussen. Es gibt also keinen Grund, diesen strategisch außerordentlich wichtigen Schritt wegen der Probleme im Pharmabereich in Frage zu stellen.

Auch Polymere bleibt ein Kerngeschäft. Wir sind sicher, dass wir die Ertragskraft dieses Arbeitsgebietes mit den eingeleiteten, umfangreichen Optimierungsmaßnahmen nachhaltig verbessern können und bei einem günstigeren konjunkturellen Umfeld auch wieder deutlich bessere Ergebnisse erzielen werden.

Die Restrukturierung im Arbeitsgebiet Chemie geht wie geplant weiter - einschließlich der umfassenden Maßnahmen zur Stärkung unserer deutschen Standorte, wo sich die Schwerpunkte dieses Geschäfts befinden.

Aber – um das noch einmal zu unterstreichen: Wir werden die Pharmastrategie grundlegend überprüfen und die notwendigen Anpassungen an die veränderte Situation so rasch wie möglich vornehmen bzw. einleiten.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss noch eine grundsätzliche Bemerkung machen. Uns ist klar, dass die Ereignisse der letzten Woche und deren Folgen ein schwerer Schlag für unser Unternehmen sind.

Wir – das heißt der Vorstand und die Führungsmannschaft von Bayer – sind uns der Lage voll bewusst. Wir werden alles in unseren Kräften stehende tun, um die vorliegenden Probleme zu lösen, die notwendigen Anpassungen vorzunehmen und das Unternehmen wieder auf Kurs zu bringen.

Vor allem wollen und müssen wir verloren gegangenes Vertrauen wiedergewinnen. Das sind wir den Menschen, die unseren Arzneimitteln vertrauen, unserem Unternehmen, seinen Mitarbeitern und Aktionären sowie unseren Kunden schuldig.


Aus den Ausführungen von Dr. David Ebsworth

Leiter des Geschäftsbereichs Pharma der Bayer AG
Meine sehr verehrten Damen und Herren,

zunächst möchte ich Ihnen sagen, wie sehr auch der Geschäftsbereich Pharma und seine Mitarbeiter die Tatsache bedauern, dass unser Medikament in Verbindung mit Todesfällen gebracht wird.

Wir haben Ihnen in der vergangenen Woche unmittelbar nach der Bekanntgabe des Vermarktungsstopps von Lipobay bzw. Baycol, so die weltweiten Markennamen des Präparates, die wichtigsten Informationen zu diesem Schritt gegeben. Da es jedoch einige Unklarheiten und Verunsicherungen bezüglich der Gründe und vor allen Dingen der zeitlichen Abläufe gegeben hat, möchte ich Ihnen die Entwicklung noch einmal in Kürze erläutern.

Zunächst die Gründe: Der Wirkstoff Cerivastatin gehört zur Gruppe der Statine. Das sind hochwirksame Medikamente, die zwar für eine Vielzahl von Menschen lebensnotwendig sind, von denen man aber seit Jahren auch um Nebenwirkungen weiß. Diese Nebenwirkungen waren bereits bekannt, bevor wir unser Medikament im Jahre 1997 in den Markt eingeführt haben. Im Zusammenhang mit Statinen sind leider auch Todesfälle in Verbindung mit Muskelschwäche – in der Fachsprache: Rhabdomyolyse– bekannt geworden.

Rhabdomyolyse ist eine zwar seltene, aber potentiell lebensgefährliche Nebenwirkung, die in Verbindung mit allen gebräuchlichen lipidsenkenden Medikamenten auftreten kann. Das Risiko wächst, wenn Statine in Kombination mit Gemfibrozil verordnet werden. Gemfibrozil ist ebenfalls ein Cholesterinsenker, der als generisches Präparat besonders in den USA weit verbreitet ist und gerne verschrieben wird.

Weil eine gemeinsame Verordnung von Cerivastatin und Gemfibrozil das Risiko von Nebenwirkungen erhöht, haben wir darauf in unseren Beipackzetteln und Hinweisen an die Ärzte vom Start der Ausbietung an hingewiesen. Später haben wir sogar eine Kontraindikation hinzugenommen und Informationsschreiben an Ärzte versandt. Dennoch haben wir, trotz aller getroffenen Maßnahmen, weiterhin Meldungen über Muskelschwächen bei Patienten bekommen, denen die gleichzeitige Einnahme dieser beiden Präparate verordnet worden war.

Hinzu kommen Daten, die nunmehr darauf hindeuten, dass bei Cerivastatin im Verhältnis zu anderen Statinen Meldungen von Muskelschwäche bei Kombinationstherapie mit Gemfibrozil häufiger aufzutreten scheinen. Da wir als Unternehmen nicht ausschließen können, dass manche Ärzte an ihrer gewohnten Verordnungspraxis festhalten, haben wir uns entschlossen, das Präparat freiwillig vom Markt zu nehmen, um keine Patienten in Gefahr zu bringen.

Das war ein Grund. Ein anderer war der mitunter bestimmungswidrige Einsatz der Höchstdosis von 0,8 Milligramm als Anfangsdosis zu Beginn der Behandlung, der bedauerlicherweise auch bei einer Monotherapie mit Cerivastatin zu Spontanmeldungen von Todesfällen in zeitlichem Zusammenhang mit der Einnahme von Cerivastatin geführt hat. Diese Höchstdosis von 0,8 Milligramm war erst in einigen Ländern, unter anderem in den USA, erhältlich. In Deutschland war sie noch nicht auf dem Markt.

In unseren Verschreibungsempfehlungen für die 0,8 Milligramm Dosis wird deutlich darauf hingewiesen, eine Behandlung nicht mit der höchsten Dosierung zu starten, sondern mit einer geringeren Dosis zu beginnen und diese dann erst schrittweise zu erhöhen. Auch gegen diesen Hinweis wurde leider immer wieder verstoßen, so dass wir in der falschen Anwendung des Produktes ein zusätzliches Risiko für die Anwender gesehen haben.

Der Vermarktungsstopp gilt weltweit. Nur in Japan haben wir auf diesen Schritt verzichtet, weil dort zum einen Gemfribrozil nicht am Markt ist und die höchste Dosierung dort 0,3 Milligramm beträgt – also beide Sicherheitsrisiken nicht gegeben sind.

Meine Damen und Herren, es ist bekannt, dass Medikamente neben ihren lebenswichtigen Funktionen auch Nebenwirkungen haben können. Diese gilt es auf ein Minimum zu reduzieren bzw. durch richtige Anwendung möglichst auszuschließen.

In der klinischen Entwicklung von Cerivastatin bis hin zur Zulassung waren keine Auffälligkeiten von Muskelschwäche aufgetreten. Die klinische Prüfung umfasste rund 50 Studien mit circa 2.500 Patienten. Erst mit dem weiteren Ausbau des Studienprogramms und der Auswertung von Informationen über 15.000 Patienten konnten einige Fälle der seltenen Nebenwirkungen festgestellt werden.

Da wir trotz aller Anwendungshinweise nicht ausschließen konnten, dass Verordnungen entgegen unseren Verschreibungsempfehlungen zu schwerwiegenden Folgen führen könnten, haben wir uns im Interesse der Sicherheit und Gesundheit der Patienten entschlossen, die Präparate nicht weiter zu vermarkten.

Meine Damen und Herren, uns sind derzeit weltweit 52 Todesfälle bekannt, die in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Einnahme von Cerivastatin und Rhabdomyolyse aufgetreten sein sollen – davon fünf in Deutschland. Diese Fälle beruhen auf sogenannten Spontanmeldungen, die – wie auch die Behörden immer wieder betonen – nur eine begrenzte Aussagekraft haben.

Ein wirklicher kausaler Zusammenhang kann allerdings nur schwer nachgewiesen werden, denn häufig fehlen Informationen wie beispielsweise Hinweise auf andere, zusätzliche Medikamente. Im Klartext: Ursache und Wirkung lassen sich nicht einfach miteinander in Verbindung bringen.

Fakt ist: In Zusammenhang mit Statinen gibt es eine Reihe von Todesfällen in Verbindung mit Muskelschwäche. Dabei muß man allerdings beachten, dass mit Statinen behandelte Personen häufig älter sind und unter ernsthaften Begleiterkrankungen leiden, die auch kardiovaskuläre Krankheiten mit hoher Morbidität und Mortalität einschließen.

Bei diesen Menschen werden Statine, also auch Cerivastatin, eingesetzt, um die lebensbedrohlichen Cholesterinwerte zu senken und die Gefahr beispielsweise eines Herzinfarktes zu reduzieren.

Bayer hat alle Meldungen über Nebenwirkungen verfolgt und die uns zur Verfügung stehenden Informationen an die zuständigen Behörden weitergeleitet. Angesichts der gesundheitlichen Situation der meisten Patienten ist es überaus schwierig zu unterscheiden zwischen einem Todesfall, der durch eine bestehende Vor- oder Begleiterkrankung eingetreten ist, und einem, der direkt auf die Nebenwirkung der eingenommen Präparate zurückzuführen ist. Dies ist ein Problem, mit dem die Medizin bei vielen pharmazeutischen Produkten zu tun hat.

Meine Damen und Herren, es hat in den vergangenen Tagen auch Kritik an unserer Informationspolitik gegeben. Manches mag für einen Außenstehenden nicht verständlich sein, deshalb möchte ich ihnen unsere Vorgehensweise noch einmal erläutern.

Uns wurde vorgeworfen, wir hätten bereits seit Monaten von Todesfällen gewußt, aber nicht gehandelt. Nicht jeder in Zusammenhang mit einem Medikament gemeldete Todesfall führt sofort zu einer Rücknahme des Medikaments.

Ich erwähnte es bereits: Arzneimittel haben neben ihrer heilenden Wirkung bedauerlicherweise auch Nebenwirkungen, die mitunter sogar zum Tod der Patienten führen können. Dies gilt für fast alle Präparate.

Hersteller und Behörden gehen jedoch jedem Verdachtsmoment sofort nach. Wir stehen in regelmäßigem Kontakt mit den Gesundheitsbehörden in allen Teilen der Welt – in diesem Fall vornehmlich mit der Food and Drug Administration – kurz: FDA genannt – in den USA. Nachdem eine Häufung von dort gemeldeten Fällen den Verdacht eines nicht bestimmungsgemäßen Gebrauches aufkommen ließ, haben wir die Verordnungsempfehlungen und Warnungen deutlich verschärft. Außerdem haben wir eine Informationskampagne für die Ärzte gestartet.

Da wir jedoch feststellen mußten, dass alle Warnhinweise letztlich die Verschreibungsgewohnheiten nicht aller Ärzte beeinflussen konnten, und außerdem deutlich wurde, dass die Nebenwirkungen von Cerivastatin bei gleichzeitiger Einnahme mit Gemfibrozil ausgeprägter zu sein scheinen als bei anderen Medikamenten aus der Klasse der Statine, haben wir uns in der vergangenen Woche kurzfristig zum Vermarktungsstopp entschlossen – freiwillig, und nicht, wie Kritiker und auch einige Medien behauptet haben, erst auf Druck der amerikanischen Gesundheitsbehörde.

Dieser Vorwurf ist absolut falsch. In ihrer offiziellen Ankündigung vom 8. August 2001 bestätigt die amerikanische FDA ausdrücklich, dass Bayer diese Maßnahme freiwillig getroffen habe.

Nachdem wir diese Entscheidung am frühen Morgen des vergangenen Mittwoch im Rahmen einer Ad-hoc-Mitteilung publiziert haben, kam Kritik auf, weshalb nicht die Verbraucher vor der Finanzwelt informiert wurden. Diese Kritik kann ich gut nachvollziehen, gleichwohl: Sie ist unberechtigt, denn wir sind an rechtliche Vorschriften gebunden.

Dennoch haben wir großes Verständnis dafür, wenn sich Ärzte, Apotheker und Patienten zu spät informiert fühlten. Zwar stand die Basis-Information unmittelbar nach Bekanntgabe der Ad-hoc-Meldung auch im Internet allen Interessenten zur Verfügung, doch es gab noch eine zeitliche Verzögerung bezüglich zusätzlicher Hintergrundinformationen: Die direkte schriftliche Information von Ärzten und Apothekern hat durch einen sogenannten "Rote Hand"-Brief zu erfolgen. Der Inhalt muß mit den jeweiligen lokalen Gesundheitsbehörden abgestimmt werden.

In Deutschland wurde damit sofort nach Herausgabe der Ad-hoc-Meldung am Morgen des 8. August begonnen. Unmittelbar danach haben wir die Informationen an die Fach-Zielgruppen weitergeleitet.

Wir haben in einem Brief an unsere Kunden versucht, die Abläufe und Notwendigkeiten zu erklären. Auch ich möchte im Namen des gesamten Geschäftsbereiches Pharma noch einmal um Entschuldigung bitten für die Verwirrung, die bei vielen Ärzten, Apothekern und Patienten entstanden ist.

Wir bitten um Verständnis, dass dies auch für uns eine einmalige Aktion war – und hoffentlich auch bleiben wird. Und wir haben uns in dieser Krisensituation intensiv bemüht, allen berechtigten Informationsinteressen und gleichzeitig auch den gesetzlichen Vorgaben gerecht zu werden.
Anschriften aus dem Artikel: Alte Landstr 129, Albert-Einstein-Str 58

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