Editorial

Tabubruch

Wie hart darf man Israel kritisieren?

Die doch stellenweise recht unappetitliche Schlammschlacht um den Ex-Grünen-NRW-Landtagsabgeordneten Jamal Karsli, den stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland Michel Friedmann sowie den Fraktionschef und stellvertretenden Bundesvorsitzenden der FDP Jürgen Möllemann und die umstrittenen Äußerungen aller Beteiligten beschäftigen in den letzten Wochen die Medien. Statt das blutleere "Projekt 18" voranzutreiben, verstrickte sich die FDP überraschend in eine Antisemitismus-Debatte.

Was war geschehen? Der aus dem Nahen Osten stammende Grüne Landtagsabgeordnete Jamal Karsli warf dem amtierenden israelischen Premierminister Ariel Scharon Nazimethoden im Umgang mit den Palästinensern vor und suchte sich bei der FDP eine neue politische Heimat - vermutlich deswegen, weil der FDP-Fraktionschef Jürgen Möllemann Scharons Politik oft und hart kritisiert hatte.

Ärger durch Karslis Wechsel

Der bevorstehende Wechsel in die FDP-Fraktion sorgte angesichts der Äußerungen Karslis natürlich auch außerhalb der FDP für einigen Wirbel. Als einer der härtesten Kritiker tat sich Michel Friedmann hervor, der daraufhin mit Jürgen Möllemann aneinander geriet. Was als unerwünschte Einmischung in die inneren Angelegenheiten der FDP begann, veränderte sich zu massiven Schlägen unter die Gürtellinie - auf beiden Seiten.

Letztendlich entschuldigte sich Möllemann - mehr halbherzig und gezwungen, als von vielen gewünscht. Der Schaden war schon angerichtet, und man sollte sich fragen: War dies die letzte Diskussion um eine angeblich fragwürdige Politik des Staates Israel und dem Vorwurf des Antisemitismus auf der anderen Seite? Wahrscheinlich nicht.

Holocaust immer allgegenwärtig

Natürlich spielt die deutsche Geschichte und die Erinnerung an den Holocaust besonders in Deutschland immer eine große Rolle, wenn es um Kritik an Israel geht. Harsche Kritik galt und gilt scheinbar immer noch als ein Tabu, welches niemand wagte anzusprechen.
Dieses Tabu haben Möllemann und Karsli durchbrochen. Der eine aufgrund seiner Abstammung - der andere wahrscheinlich aus Gründen des Wahlkampfes. Natürlich war es auch kein Wunder, dass sich der Zentralrat der Juden in diese Diskussion einmischte.

Leider haben beide Seiten bei diesem Streit das Augenmaß völlig verloren. Dass Scharon die Palästinenser (nicht nur die vermuteten Terroristen) nicht mit Samthandschuhen anfasst, ist kein Geheimnis. Fragwürdige Praktiken, wie die Zerstörung ziviler Infrastruktur mittels Bulldozer, die teilweise entschädigungslose Enteignung von Grundbesitzern, deren Anwesen vom Staat Israel "benötigt" werden, die völlig aus dem Ruder gelaufenen Militäreinsätze in den palästinensischen Städten, die Besetzung des Gazastreifens und des Westjordanlandes, sowie die Liquidierung "Verdächtiger" ohne jedes Gerichtsverfahren durch Militär und Geheimdienst, könnte man zumindest als fragwürdig, wenn nicht gar als verbrecherisch bezeichnen. Das soll nicht heißen, dass die terroristische Gegenseite "besser" sei, aber wenn sich ein demokratischer Staat ähnlicher Methoden bedient, wie Terroristen, dann sollte dies auch hart kritisiert werden. So war der Begriff "Nazimethoden" sicherlich überzogen und angesichts des Holocausts verabscheuungswürdig, doch die eigentlichen Kritikpunkte gingen dabei völlig unter.

Killerphrasen Antisemit und Nazi

Michel Friedmann griff zu anderen Übertreibungen und brachte die mittlerweile arg strapazierte Killerphrase "Antisemit" in die Diskussion ein, worauf Möllemann Friedmann mit dafür verantwortlich machte, dass Juden in Deutschland schlecht angesehen seien.

So falsch und übertrieben diese nun (hoffentlich) ausgestandene Debatte auch war - sie wird wiederkommen. Die Erlebnisgeneration des Holocausts stirbt aus. Sowohl auf deutscher, wie auch auf jüdischer Seite. Es wird sich nicht vermeiden lassen, dass die Nachkriegsgeborenen den Holocaust anders einordnen, als diejenigen, die dabei waren.
Menschen wie Karsli und Möllemann sollten irgendwelche geschmacklosen Vergleiche mit dem Nationalsozialismus vermeiden, für die ein solcher Vergleich einem Schlag ins Gesicht gleichkommen muss.
Der Zentralrat der Juden sollte dafür anerkennen, dass Kritik an israelischer Politik, solange sie sich nicht der Methoden Karslis bedient, 57 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges auch in Deutschland kein Tabu mehr sein darf.
Nicht jeder, der Israel kritisiert ist ein Antisemit.

MiWi