Satire

Tierisch gut drauf

Bonn. Konrad-Adenauer-Haus der CDU. Generalsekretärin Angela Merkel, CDU-Chef Wolfgang Schäuble und CSU-Chef Stoiber (live zugeschaltet) beraten die aktuelle Lage.

Schäuble: Die rot-grüne Koalition taumelt. Sie ist mit ihrem Latein am Ende.

Stoiber: Die können doch alle gar kein Latein mehr!

Merkel: Ökosteuer. Lafontaine-Rücktritt. Ärger mit der EU. Ärger mit der Wirtschaft. Und dazu noch schlechte Presse.

Schäuble (bedächtig nickend): Wie wollen die da wohl wieder rauskommen?

Kanzleramt. Zwischen Umzugskartons tagt das Kabinett unter der Moderation des Bundeskanzlers. Im Hintergrund eine liebevoll befestigte Dartscheibe mit dem stark durchlöcherten Bildnis des ehemaligen Finanzministers.

Schröder: Wir taumeln. Wir sind mit ihrem Latein am Ende.

Arbeitsminister Riester: Beati pauperes spiritu.

Die Kabinettstür fliegt plötzlich auf, Lärm und empörte Schmerzensschreie zu Boden gestürzter Journalisten dringen von draußen in den Raum. Umweltminister Trittin betritt mit einem abgerissenen Schlips den Raum.

Umweltminister Trittin (gutgelaunt): Redet ihr von mir?

Schröder (blickt mißbilligend auf die Uhr)

Kanzleramtsminister Hombach: Jürgen, mußt du deinen Auftritt immer so melodramatisch inszenieren?

Trittin: Ich kann nichts dafür. Alle wollen ein Interview von mir: Wann wir die Koalition verlassen, ob es stimmt, daß Gerhard ein Toupet trägt, warum wir die Steuerreform wieder mal verschoben haben, ob es stimmt, daß ein Massenrücktritt von Minenzinpreiserhöhung: Die Bevölkerung will nicht, also Gerhard auch nicht. Gerechte Öko-Steuern: Der Mittelstand will nicht, also Gerhard auch nicht...

Gesundheitsministerin Fischer (ebenso murmelnd): Die vierte Stufe der Gesundheitsreform: Die Pharmabosse wollen nicht, also Gerhard auch nicht.

Trittin (leise): Staatsbürgerschaftsrecht: Nur 70% der Bevölkerung war dagegen, also auch Gerhard nicht ... Opportunistensau ... (lauter werdend) Sau? Schwein? Tier? (triumphierend) Heureka!

Schröder (mitleidig): Jetzt hat er endgültig den Sockenschuß. So ein Pack muß ich täglich vor der Presse in Schutz nehmen!

Trittin: Damit ergeben sich ungeahnte Möglichkeiten. (Sein Blick richtet sich in die Ferne) Und die Mehrverheitsverhältnisse könnten vielleicht endgültig zu unseren Gunsten entschieden werden. Und wir könnten in die Geschichte eingehen.

Hombach (grinsend zu Wirtschaftsminister Müller): Der letzte, der das gesagt hat, wollte die Weltwirtschaft verändern und spielt heute mit Bauklötzen in seinem saarländischen Anwesen! (wirft lustvoll einen Metall-Kugelschreiber mit der Aufschrift "Die neue Mitte" auf die Dartscheibe und trifft souverän.)

Wieczorek-Zeul (wirft vernichtenden Blick auf Hombach): Jürgen, raus mit der Sprache. Hast du eine Idee, die uns allen die Haut retten kann?

Trittin: Es ist das Thema der Zukunft, das der Bevölkerung unter den Nägeln brennt. Und es ist allemal populär.

Schröder (aufhorchend): Sprich weiter!

Trittin: Tierschutz!

Schröder (enttäuscht): Boooah, mit so ollen Kamellen kommst du heute an! Daß wir in der Richtung was unternehmen, haben wir doch schon vor Monaten beschlossen.

Trittin: Ja, diesen üblichen faulen Kompromiß. Der geht aber nicht weit genug. Zig Millionen Tiere werden Tag für Tag in der Bundesrepublik unterdrückt und ihrer elementaren Rechte beraubt. Wir müssen der Mitschöpfung nicht nur entgegenkommen, wir müssen ihr die gleichen Rechte geben wie uns.

Das Kabinett verfällt in ungläubiges Schweigen.

Landwirtschaftsminister Franke (poltert los): Soll ich den geplanten Erweiterungsbau an meinem Bauernhof demnächst von der Zustimmung meiner 30 Milchkühe abhängig machen?

Trittin (verachtend): Sklavenhalter

Hombach (zu Schröder): Jetzt ist er vollkommen reif für die Klapsmühle. Willst du ihn gleich entlassen, oder -

Schröder (ihn unterbrechend): Laß doch mal. Vielleicht hat die Idee was für sich. Denken wir sie doch einmal zu Ende.

Wie von Geisterhand scheidet sich das Kabinett in die Grünen- und SPD-Minister. Wildes, aber gedämpftes Flüstern beginnt.

Hombach: Gerd, bist du wahnsinnig! Wenn das auch nur einer der Journalisten draußen das mitbekommt, wandert nicht nur Trittin in die Lala-Farm, sondern wir gleich mit!

Schröder: Bodo, wir müssen an die Zukunft denken. Natürlich bin ich dagegen, vorschnell zu handeln. Aber sehr viele menschliche Fans haben wir nicht mehr. Überleg' doch mal: Keiner weiß, was Tiere denken und - was noch viel wichtiger ist - was und wen sie wählen würden. Natürlich müßte es für McDonald's großzügige Übergangsfristen geben, sonst gehen drei Viertel aller 630-Mark-Jobs über die Wupper. Und ...

Auf der anderen Seite des Raumes.

Trittin (zu beiden Fischers): ... denkt doch an das Arbeitsplatzpotential. Hunderttausende Menschen, die die Tierrechte vertreten und schützen müssen. Außerdem: Wen sollen die Tiere denn wählen, wenn nicht die Grünen?

Fischer: Das hättest du wohl gerne. Es brauchen ja nur etwa 20.000 Fundi-Hunde bei uns einzutreten, um die Mehrheitsverhältnisse zu kippen.

Andrea Fischer: Und die Verständigungsprobleme!

Trittin: Simultandolmetscher. Auch das schafft Arbeitsplätze ...

Zurück zur SPD-Riege.

Hombach: Meinst du nicht, daß das leichte Unruhe in der Bevölkerung erzeugt? Ich stelle mir einen unschuldigen Autofahrer vor, der gerade eine Kröte plattgefahren hat und nun vor dem Kadi wegen fahrlässiger Tötung steht!

Riester: Und wie kriegen wir die CDU dazu, diesem Schwachs-, äh, dieser Idee zuzustimmen? Bei Grundgesetzänderungen haben die ein Wörtchen mitzureden.

Schröder (mißbilligend): Deine Phantasie ist offenbar beim dauernden Streit um Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfen auf der Strecke geblieben. Viele Tiere sind stockkonservativ. Denk nur an die deutschen Schäferhunde. Da hätte auch die CDU ihr Wählerpotential.

Scharping: Wenn aber die CDU mitstimmen muß, ist es kein rot-grünes Reformprojekt mehr.

Schröder (verärgert): Du findest auch immer ein Haar in der Suppe!

Nach dreistündigen zähen Verhandlungen steht der Grobentwurf der Grundgesetzänderung. Nur ein Punkt ist noch ungeklärt: Die Vertretung der Tiere im Kabinett.

Scharping: Seid ihr jetzt völlig übergeschnappt? Was zu weit geht, geht zu weit!

Trittin: Okay, wir kommen euch entgegen. Wir wollen nur ein Tier im Kabinett.

Schröder (fummelt im Hintergrund an der Dartscheibe herum)

Hombach (formuliert in Gedanken seinen Rücktritt) ... nach erfolgreicher Arbeit ... viel Glück für die Zukunft ... stolz auf die Politik des sozialen Ausgleichs ... Grund ist mehr Zeit für die Familie ... nicht vergessen: Journalisten den wahren Grund stecken ...

Schröder (wendet sich ans Kabinett): Ihr müßt das alle viel gelassener betrachten. Zuerst kungeln wir das in aller Stille mit Wolfgang Schäuble aus. Sollte die CDU zustimmen, können wir auch langsam daran gehen, es an die Öffentlichkeit zu bringen. Und was das Tier als Bundesminister angeht, habe ich mir auch schon so meine Gedanken gemacht. (Trifft mit einem geübten Wurf die Dartscheibe mittig, auf der nun das Bild von Jürgen Trittin prangt)

Innenminister Otto Schily (erfreut verstehend): Aha! Peccatum vulgaris!

Schröder und andere: Hä?

Schily: Der gemeine Sündenbock.

G.D. / MiWi